{"title":"革命?实际规范和科学分析分类之间的区别。德国发生的","authors":"M. Platt","doi":"10.5771/9783845291345-177","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Im Krieg, schrieb Carl von Clausewitz in seiner großen Abhandlung, kämen die Dinge anders, als man es sich gedacht habe. Und sie sähen in der Nähe anders aus als aus der Entfernung. Wahre und falsche Nachrichten seien oft kaum zu unterscheiden; der Verlauf der Ereignisse sei häufig von Zufällen und Einflüssen abhängig, an die zuvor kein Mensch gedacht habe.1 Krieg konstituiert bei Clausewitz ein spezifisches Vorstellungsfeld: Der Begriff ruft Bilder, Assoziationen und Interpretationen hervor, die Wahrnehmungen und Erwartungen strukturieren. Als „Krieg“ erscheint gleichsam logisch, was ansonsten als zufällig, willkürlich und unerklärlich gelten müsste. Der Begriff gerät als Begriff dabei zur abstrakten Größe. Er beschreibt nicht das Singuläre, die Einmaligkeit und Individualität der in der KriegsHandlung unmittelbar vor Clausewitz stehenden Ereignisse, sondern das über den Einzelfall hinausweisende Gemeinsame von Kriegen im Allgemeinen. Nicht jedes Motiv aus dem semantischen Vorstellungsbereich von „Krieg“ passt auch zur Empirie des unmittelbaren Erlebens – der Krieg sieht in der Wirklichkeit nicht überall so aus, wie man ihn sich in der Vorstellung gedacht hat. Je stärker man den Fokus, d.h. die beschreibende Nähe, setzt, desto frappierender wird die Abweichung zwischen Vorstellung und Erleben. Krieg ist ein geschichtlicher Grundbegriff. Er ordnet die Wahrnehmungspluralität aus Beobachtungen, wahren und falschen Nachrichten, Ängsten, Zufällen und Entscheidungen und reduziert deren oft widersprüchliche Detailfülle auf ein fassbares Vorstellungsfeld, das in den größeren Zusammenhang der Geschichte eingepasst werden kann. 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Revolution? Zwischen kontrafaktischer Norm und wissenschaftlicher Analysekategorie. Deutschland 1918/19
Im Krieg, schrieb Carl von Clausewitz in seiner großen Abhandlung, kämen die Dinge anders, als man es sich gedacht habe. Und sie sähen in der Nähe anders aus als aus der Entfernung. Wahre und falsche Nachrichten seien oft kaum zu unterscheiden; der Verlauf der Ereignisse sei häufig von Zufällen und Einflüssen abhängig, an die zuvor kein Mensch gedacht habe.1 Krieg konstituiert bei Clausewitz ein spezifisches Vorstellungsfeld: Der Begriff ruft Bilder, Assoziationen und Interpretationen hervor, die Wahrnehmungen und Erwartungen strukturieren. Als „Krieg“ erscheint gleichsam logisch, was ansonsten als zufällig, willkürlich und unerklärlich gelten müsste. Der Begriff gerät als Begriff dabei zur abstrakten Größe. Er beschreibt nicht das Singuläre, die Einmaligkeit und Individualität der in der KriegsHandlung unmittelbar vor Clausewitz stehenden Ereignisse, sondern das über den Einzelfall hinausweisende Gemeinsame von Kriegen im Allgemeinen. Nicht jedes Motiv aus dem semantischen Vorstellungsbereich von „Krieg“ passt auch zur Empirie des unmittelbaren Erlebens – der Krieg sieht in der Wirklichkeit nicht überall so aus, wie man ihn sich in der Vorstellung gedacht hat. Je stärker man den Fokus, d.h. die beschreibende Nähe, setzt, desto frappierender wird die Abweichung zwischen Vorstellung und Erleben. Krieg ist ein geschichtlicher Grundbegriff. Er ordnet die Wahrnehmungspluralität aus Beobachtungen, wahren und falschen Nachrichten, Ängsten, Zufällen und Entscheidungen und reduziert deren oft widersprüchliche Detailfülle auf ein fassbares Vorstellungsfeld, das in den größeren Zusammenhang der Geschichte eingepasst werden kann. Derartige Begriffe sind notwendig, weil sie aus der bloß additiven Reihung von Anekdoten erzählbare Geschichten entstehen lassen. Der Grundbegriff ist eine Schablone, die angelegt wird, um die Unebenheit der Wirklichkeitserfahrung einzuhegen und darstellbar zu machen. Die Komplexität des Erlebten