{"title":"脆弱的实验体和仁慈","authors":"M. Striet","doi":"10.14361/9783839447420-008","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"In seinen aus dem Nachlass edierten Vorlesungen aus Die Regierung der Lebenden aus den Jahren 1979-1980 äußert Michel Foucault die Vermutung, dass der »Antrieb, sich von der Macht frei zu machen«, »als Indikator für die Veränderungen des Subjekts und der Beziehung« diene, »die es zur Wahrheit unterhält«. Ich eröffne deshalb meine Überlegungen zu Judith Butlers Subjektdenken mit diesem Hinweis auf Foucault, weil bis heute zu hören ist, dass Foucault kein Subjekt kenne. Die Explizitheit, mit der er in diesen späten Vorlesungen am Collège de France den Subjektbegriff nutzt, ist eindrücklich, und: Sie ist auch nicht überraschend. Und ebenso selbstverständlich ist, dass auch Butler ein Subjekt kennt. Sie verkörpert ein solches, und zwar mit Gewicht. Dass das Subjekt nicht so begriffen werden darf, wie es René Descartes noch tat, sollte auch nicht Anlass geben, so paradox dies klingen mag, das Konzept »Subjekt« aufzugeben. Entscheidend ist, welches Konzept von Subjekt vertreten wird. Denn soll nicht eine deterministische oder naturalistische Philosophie des Geistes vertreten werden, so ist nicht nur darauf zu bestehen, dass es eine um sich wissende Subjektivität gibt, sondern dass es eine in den Alltagspraktiken gegenseitig unterstellte Aktivität gibt, die als die Aktivität von Subjekten bestimmt wird. Es war Kant, der gegen alle theoretischen Aufhebungsprogramme dessen, was im Subjektbegriff gedacht wird, und damit zur Ehrenrettung der Wirklichkeit von Freiheit, das entscheidende Argument lieferte: Es darf gar nicht erst versucht werden, die Aktualität von menschlicher Freiheit und damit ihre Wirksamkeit durch eine Kausalität zu erklären, die nicht sie selbst wäre (auch nicht eine göttliche im Übrigen). 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