{"title":"树/人/声音/艺术颤抖的树","authors":"C. Flamm","doi":"10.7788/OMZ-2014-0209","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"»Dem Baum, der schweigt, ist tiefer zu vertrauen / Als allen Redensarten / Als allen Zungen, die sich laut vermischen / Es ist die Stille, die zur Kunst entfacht, / Geschichte macht, / Solang, bis wir den Schmerz von unsren Stirnen / Wischen.«1 Hanns Dieter Hüsch wird in diesen Versen kaum daran gedacht haben, dass eine aus dem Schweigen des Baumes geborene Kunst gerade sie durchbricht – die Stille. Und doch verhält es sich so: Komponisten und KlangkünstlerInnen haben seit gut hundert Jahren das stumme Naturwesen zum Gegenstand musikalischer Werke und klingender Installationen gemacht. Natürlich widersetzt sich der einzelne Baum – anders als der Wald, der als Landschaft wahrgenommen wird und daher seit jeher bereitwillig zu komponierten Seelenund Stimmungslandschaften eingeladen hat – programmmusikalischen Annäherungsversuchen reiner Instrumentalmusik recht nachdrücklich, schon weil das lautmalende Moment entfällt. Problemlos verfügbar war der Baum lediglich in seinen emblematischen Bedeutungen, etwa die Zypresse als Symbol des Todes (und ewigen Lebens) in den verstörenden Threnodien aus Liszts drittem Jahr der Années de pèlerinage, in Malipieros raffiniertem Orchesterbild I cipressi e il vento aus der zweiten Serie der Impressioni dal vero (1915) oder in Saint-Saëns’ bombastischem Weltkriegsecho Cyprès et lauriers für Orgel und Orchester op. 156 (1919). Die Übergriffigkeiten der Programmmusik verspottend, schrieb Erik Satie seine in ihrem harmonisch bisweilen bizarren Liniengeflecht durchaus knorrige Nouvelle pièce froide namens Sur un arbre (1907), und Hindemith setzte mit seinem Phantastischen Duett zweier Bäume vor dem Fenster (Nr. 3 aus In der Nacht op. 15, 1919) gleichsam noch eins drauf. Der Baum als Programm – ein grotesker Irrweg also?","PeriodicalId":147000,"journal":{"name":"Österreichische Musikzeitschrift","volume":"31 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0000,"publicationDate":"2014-02-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":"{\"title\":\"Baum / Mensch / Klang / Kunst. Ein tönendes Arboretum\",\"authors\":\"C. 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Baum / Mensch / Klang / Kunst. Ein tönendes Arboretum
»Dem Baum, der schweigt, ist tiefer zu vertrauen / Als allen Redensarten / Als allen Zungen, die sich laut vermischen / Es ist die Stille, die zur Kunst entfacht, / Geschichte macht, / Solang, bis wir den Schmerz von unsren Stirnen / Wischen.«1 Hanns Dieter Hüsch wird in diesen Versen kaum daran gedacht haben, dass eine aus dem Schweigen des Baumes geborene Kunst gerade sie durchbricht – die Stille. Und doch verhält es sich so: Komponisten und KlangkünstlerInnen haben seit gut hundert Jahren das stumme Naturwesen zum Gegenstand musikalischer Werke und klingender Installationen gemacht. Natürlich widersetzt sich der einzelne Baum – anders als der Wald, der als Landschaft wahrgenommen wird und daher seit jeher bereitwillig zu komponierten Seelenund Stimmungslandschaften eingeladen hat – programmmusikalischen Annäherungsversuchen reiner Instrumentalmusik recht nachdrücklich, schon weil das lautmalende Moment entfällt. Problemlos verfügbar war der Baum lediglich in seinen emblematischen Bedeutungen, etwa die Zypresse als Symbol des Todes (und ewigen Lebens) in den verstörenden Threnodien aus Liszts drittem Jahr der Années de pèlerinage, in Malipieros raffiniertem Orchesterbild I cipressi e il vento aus der zweiten Serie der Impressioni dal vero (1915) oder in Saint-Saëns’ bombastischem Weltkriegsecho Cyprès et lauriers für Orgel und Orchester op. 156 (1919). Die Übergriffigkeiten der Programmmusik verspottend, schrieb Erik Satie seine in ihrem harmonisch bisweilen bizarren Liniengeflecht durchaus knorrige Nouvelle pièce froide namens Sur un arbre (1907), und Hindemith setzte mit seinem Phantastischen Duett zweier Bäume vor dem Fenster (Nr. 3 aus In der Nacht op. 15, 1919) gleichsam noch eins drauf. Der Baum als Programm – ein grotesker Irrweg also?