{"title":"这个关于退休系统的法律公正的问题","authors":"Tim Köhler-Rama","doi":"10.5771/9783748906889-67","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Das staatliche Rentensystem ist – wie die Sozialversicherung insgesamt – eine Errungenschaft des Industrieproletariats. Als Reaktion auf die Arbeiterbewegung und das Erstarken der SPD wurde das Rentensystem Ende des 19. Jahrhunderts vom Staat implementiert, weil klar geworden war, dass die Reproduktionsbedingungen des Industriekapitalismus unerträglich geworden waren. Das Rentensystem sollte vor allem den Arbeiter vor allzu großer Not bewahren, dessen Arbeitskraft im Produktionsprozess verbraucht worden war. In aller Regel war die Rente zu dieser Zeit eine Invalidenrente. Altersrenten waren die Ausnahme. Wenn jemand hart gearbeitet und dabei seine Gesundheit ruiniert hatte, sollte er besser gestellt werden, als derjenige Fürsorgeempfänger, der nicht gearbeitet hat. Der Verbrauch der Arbeitskraft als Bedingung für eine Rente bildete somit den eigentlichen Grundgedanken des Rentensystems zum Zeitpunkt seiner Entstehung. Erst viel später, während des massiven Ausbaus des Rentensystems in den 1950er Jahren, wurde die Altersrente zur Norm und der Gedanke der Statussicherung im Alter („Rente als fortgesetzter Lohn“) überlagerte von nun an den Gedanken der Armutsvermeidung. Historisch gesehen enthält das Rentensystem somit die beiden Ziele Armutsvermeidung und Lebensstandardsicherung. Der folgende Beitrag soll zeigen, dass zwischen den beiden Zielen grundsätzlich eine Konkurrenz besteht, und der jüngste Anstieg der Altersarmut diese Zielkonkurrenz verschärft und daher auch die Frage nach der Gerechtigkeit im Rentensystem neu aufkommen lässt. Unmittelbar daran geknüpft ist die Frage, welche Rolle Umverteilung und Äquivalenz in der Ausgestaltung des Rentensystems spielen. Letztlich plädiert der Autor für ein gerechteres Rentensystem, das mithilfe von mehr Umverteilung innerhalb der Versichertengemeinschaft das Altersarmutsrisiko reduziert und dabei trotzdem als zentrales Institut zur Eigenvorsorge der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erhalten bleibt. 1.","PeriodicalId":208908,"journal":{"name":"Neustart in der Rentenpolitik","volume":"9 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0000,"publicationDate":"2020-05-26","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":"{\"title\":\"Die Frage nach der Gerechtigkeit im Rentensystem\",\"authors\":\"Tim Köhler-Rama\",\"doi\":\"10.5771/9783748906889-67\",\"DOIUrl\":null,\"url\":null,\"abstract\":\"Das staatliche Rentensystem ist – wie die Sozialversicherung insgesamt – eine Errungenschaft des Industrieproletariats. Als Reaktion auf die Arbeiterbewegung und das Erstarken der SPD wurde das Rentensystem Ende des 19. 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Das staatliche Rentensystem ist – wie die Sozialversicherung insgesamt – eine Errungenschaft des Industrieproletariats. Als Reaktion auf die Arbeiterbewegung und das Erstarken der SPD wurde das Rentensystem Ende des 19. Jahrhunderts vom Staat implementiert, weil klar geworden war, dass die Reproduktionsbedingungen des Industriekapitalismus unerträglich geworden waren. Das Rentensystem sollte vor allem den Arbeiter vor allzu großer Not bewahren, dessen Arbeitskraft im Produktionsprozess verbraucht worden war. In aller Regel war die Rente zu dieser Zeit eine Invalidenrente. Altersrenten waren die Ausnahme. Wenn jemand hart gearbeitet und dabei seine Gesundheit ruiniert hatte, sollte er besser gestellt werden, als derjenige Fürsorgeempfänger, der nicht gearbeitet hat. Der Verbrauch der Arbeitskraft als Bedingung für eine Rente bildete somit den eigentlichen Grundgedanken des Rentensystems zum Zeitpunkt seiner Entstehung. Erst viel später, während des massiven Ausbaus des Rentensystems in den 1950er Jahren, wurde die Altersrente zur Norm und der Gedanke der Statussicherung im Alter („Rente als fortgesetzter Lohn“) überlagerte von nun an den Gedanken der Armutsvermeidung. Historisch gesehen enthält das Rentensystem somit die beiden Ziele Armutsvermeidung und Lebensstandardsicherung. Der folgende Beitrag soll zeigen, dass zwischen den beiden Zielen grundsätzlich eine Konkurrenz besteht, und der jüngste Anstieg der Altersarmut diese Zielkonkurrenz verschärft und daher auch die Frage nach der Gerechtigkeit im Rentensystem neu aufkommen lässt. Unmittelbar daran geknüpft ist die Frage, welche Rolle Umverteilung und Äquivalenz in der Ausgestaltung des Rentensystems spielen. Letztlich plädiert der Autor für ein gerechteres Rentensystem, das mithilfe von mehr Umverteilung innerhalb der Versichertengemeinschaft das Altersarmutsrisiko reduziert und dabei trotzdem als zentrales Institut zur Eigenvorsorge der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erhalten bleibt. 1.