{"title":"Ökologische Krise und „große Transformation“. Einführung in den Themenschwerpunkt","authors":"Markus Wissen","doi":"10.15203/OZP.211.VOL43ISS1","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"In den vergangenen Jahren haben sich die Anzeichen dafür gemehrt, dass sich die Gesellschaften sowohl des Globalen Nordens als auch des Globalen Südens in einem Prozess der „großen Transformation“ befinden. Mit diesem Begriff hatte vor 70 Jahren Karl Polanyi den Übergang von der vorindustriellen zur Industriegesellschaft beschrieben (Polanyi 1995 [1944]). Heute wird auf den Transformationsbegriff oder verwandte Begriffe Bezug genommen, um die Herausforderungen zu skizzieren, mit denen sich (nicht nur) die Industriegesellschaft angesichts der tendenziellen Erschöpfung wichtiger Ressourcen und der ökologischen Krise (Klimawandel, Biodiversitätsverlust etc.) konfrontiert sieht. International haben Dokumente wie der Green-Economy-Report des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP 2011), das Millennium Ecosystem Assessment (2005) oder das Konzept der „planetary boundaries“ (Rockström et al. 2009) zur Transformationsdebatte beigetragen. Im deutschen Sprachraum unterstrich der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen in einem viel beachteten Gutachten die Notwendigkeit eines „Gesellschaftsvertrags für eine Große Transformation“ (WBGU 2011), der deutsche Bundestag setzte sich im Rahmen einer Enquete-Kommission drei Jahre lang mit den herkömmlichen Vorstellungen von „Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität“ sowie mit möglichen Alternativen auseinander (Deutscher Bundestag 2013), und das Institut für Soziale Ökologie in Wien hat in zahlreichen Veröffentlichungen auf die strukturelle Erschöpfung des industriegesellschaftlichen Metabolismus hingewiesen, der einen Übergang zu einem anderen „sozio-metabolischen Regime“ unausweichlich mache (Fischer-Kowalski 2011; Haberl et al. 2011; Hausknost 2013). Nicht zuletzt sind in diesem Zusammenhang auch die jüngsten energieund rohstoffpolitischen Debatten zu nennen. Diese haben angesichts der Reaktorkatastrophe von Fukushima im März 2011, des zu erwartenden oder bereits überschrittenen Höhepunkts der Ölförderung („peak oil“; siehe hierzu Zittel 2011), der tendenziellen Verknappung sogenannter „kritischer Rohstoffe“ (Europäische Kommission 2011) sowie der Problematik der Produktion von Agrartreibstoffen, der Extraktion von Öl aus nicht-konventionellen Quellen (Tiefsee, Ölsand) und der Förderung von Gas aus tiefliegenden Gesteinsschichten („fracking“) Aufwind erhalten. Mit der deutschen Energiewende, dem Ökostromgesetz in Österreich und den Kontroversen um Großvorhaben wie transkontinentalen Gas-Pipelines oder dem Wüstenstromprojekt Desertec sind diese Fragen längst in die staatlich-politischen Arenen vorgedrungen. Insgesamt ließe sich also von einer Repolitisierung der ökologischen Krise sprechen. Zwar steckt die explizite Umweltpolitik, die nach der großen UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro national wie international an Bedeutung gewonnen hatte, in einer tiefen Krise – sichtbar etwa an dem Verfehlen des Kyoto-Ziels in Österreich und der Schwierigkeit, sich im Rahmen der UN-Klimarahmenkonvention auf ein neues internationales","PeriodicalId":41922,"journal":{"name":"Austrian Journal of Political Science","volume":"21 1","pages":"49-54"},"PeriodicalIF":0.2000,"publicationDate":"2014-01-08","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Austrian Journal of Political Science","FirstCategoryId":"90","ListUrlMain":"https://doi.org/10.15203/OZP.211.VOL43ISS1","RegionNum":4,"RegionCategory":"社会学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"Q4","JCRName":"POLITICAL SCIENCE","Score":null,"Total":0}
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Abstract
In den vergangenen Jahren haben sich die Anzeichen dafür gemehrt, dass sich die Gesellschaften sowohl des Globalen Nordens als auch des Globalen Südens in einem Prozess der „großen Transformation“ befinden. Mit diesem Begriff hatte vor 70 Jahren Karl Polanyi den Übergang von der vorindustriellen zur Industriegesellschaft beschrieben (Polanyi 1995 [1944]). Heute wird auf den Transformationsbegriff oder verwandte Begriffe Bezug genommen, um die Herausforderungen zu skizzieren, mit denen sich (nicht nur) die Industriegesellschaft angesichts der tendenziellen Erschöpfung wichtiger Ressourcen und der ökologischen Krise (Klimawandel, Biodiversitätsverlust etc.) konfrontiert sieht. International haben Dokumente wie der Green-Economy-Report des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP 2011), das Millennium Ecosystem Assessment (2005) oder das Konzept der „planetary boundaries“ (Rockström et al. 2009) zur Transformationsdebatte beigetragen. Im deutschen Sprachraum unterstrich der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen in einem viel beachteten Gutachten die Notwendigkeit eines „Gesellschaftsvertrags für eine Große Transformation“ (WBGU 2011), der deutsche Bundestag setzte sich im Rahmen einer Enquete-Kommission drei Jahre lang mit den herkömmlichen Vorstellungen von „Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität“ sowie mit möglichen Alternativen auseinander (Deutscher Bundestag 2013), und das Institut für Soziale Ökologie in Wien hat in zahlreichen Veröffentlichungen auf die strukturelle Erschöpfung des industriegesellschaftlichen Metabolismus hingewiesen, der einen Übergang zu einem anderen „sozio-metabolischen Regime“ unausweichlich mache (Fischer-Kowalski 2011; Haberl et al. 2011; Hausknost 2013). Nicht zuletzt sind in diesem Zusammenhang auch die jüngsten energieund rohstoffpolitischen Debatten zu nennen. Diese haben angesichts der Reaktorkatastrophe von Fukushima im März 2011, des zu erwartenden oder bereits überschrittenen Höhepunkts der Ölförderung („peak oil“; siehe hierzu Zittel 2011), der tendenziellen Verknappung sogenannter „kritischer Rohstoffe“ (Europäische Kommission 2011) sowie der Problematik der Produktion von Agrartreibstoffen, der Extraktion von Öl aus nicht-konventionellen Quellen (Tiefsee, Ölsand) und der Förderung von Gas aus tiefliegenden Gesteinsschichten („fracking“) Aufwind erhalten. Mit der deutschen Energiewende, dem Ökostromgesetz in Österreich und den Kontroversen um Großvorhaben wie transkontinentalen Gas-Pipelines oder dem Wüstenstromprojekt Desertec sind diese Fragen längst in die staatlich-politischen Arenen vorgedrungen. Insgesamt ließe sich also von einer Repolitisierung der ökologischen Krise sprechen. Zwar steckt die explizite Umweltpolitik, die nach der großen UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro national wie international an Bedeutung gewonnen hatte, in einer tiefen Krise – sichtbar etwa an dem Verfehlen des Kyoto-Ziels in Österreich und der Schwierigkeit, sich im Rahmen der UN-Klimarahmenkonvention auf ein neues internationales
期刊介绍:
The Austrian Journal of Political Science (OZP) is a peer-reviewed journal. Articles from all areas of political science are welcome, including any approach or method. Contributions from other fields and disciplines are also welcome, as long as they show a genuine interest in political issues. While the journal has a focus on issues concerning Austria and Central Europe, it also accepts articles that address, entirely or in part, other topics/other polities.