{"title":"Die Eroberung der Luxusvilla. Beispiele fiktionaler kompensatorischer Heterotopien in den Texten von Jugendlichen","authors":"G. Wurzenberger","doi":"10.5167/UZH-75915","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Schulhausromane sind Narrationen, die Jugendliche aus bildungsfernem Umfeld, angeleitet von Schriftstellerinnen und Schriftstellern, verfassen und in welchen diekontextuelle Einbindung des Erzählaktes in hohem Masse relevant ist. In vielen Schulhausroman-Texten werden Luxusvillen von Superstars als Erzählkulissen genutzt, um Imaginationsräume eines «guten Lebens» zu er-öffnen. Bezugnehmend auf Michel Foucault, welcher Heterotopien unter anderem als «reale Räume» beschreibt, die «vollkommen offen» wirken, «aber in Wirklichkeit auf seltsame Weise verschlossen»sind, soll die Frage gestellt werden, inwiefern die in diesem Sinne klassische Heterotopie der legitimen Kulturstätte mit den in Schulhausromanen entworfenen Luxusvillen – die auf Ikonen der Populärkultur verweisen – in Zusammenhang zubringen sind. BeimVersuch, von Jugendlichen gestaltete Videofilme im Hinblick aufdas darin enthaltene Selbstbild dieser Jugendlichen zu untersuchen, stellte Bernd Schorb, Professor für Medienpädagogik an der Universität Leipzig, bereits Mitte der 1980er-Jahre fest, dass das Ergebnis allein die Videofilme) – trotz nachträglicher Befragungen der Jugendlichen – wenig aussagekräftig war. Erst durch den Einbezug von Kenntnissen über die Entstehungsbedingungen und den Entstehungsprozess könnten auch differenziertere Aussageebenen der Filme adäquat analysiert werden, so Schorb. Dasselbe Problem stellt sichauch beiden «Schulhausromanen» den im Zentrum meinesDissertationsprojekts3 stehenden Texten von Jugendlichen. Wendet man nämlich die für literarische Texte, also Erzeugnisse der legitimen Kultur nach Pierre Bourdieu4) relevanten Analysekriterien auf diese Texte an, rücken zwangsläufig die Abweichungen, genauer die sprachlichen und literarischen Defizite in den Vordergrund. Entsprechend müssen die Entstehungsbedingungen und darüber hinaus Kenntnisse über die Entstehungsprozesse die Fragestellungen an diese Texte bestimmen. Inmeinem Dissertationsprojektgeht esmir deshalb darum, eine Definition von Literatur und literarischem Schreiben zu entwickeln, die über die Begriffe Lebenswelt, Bildungsprozesse und Schreiben als Agency zu einem Blick auf das KorpusderSchulhausromane gelangt, welcher die literarischen Qualitäten dieses Schreibens sichtbar macht beziehungsweise sichtbar macht, dass es sich zum Teil um dieselben Qualitäten handelt, welche auch avantgardistische Literatur auszeichnet, die dem Bereich der legitimen Kultur zugeordnet wird. Was ist ein Schulhausroman? Schulhausromane, in der Folge kurz SR genannt, sind fiktionale Texte, welche Schulklassen der unteren Leistungskategorien der Sekundarschule, also 13bis Die Eroberung der Luxusvilla SAVk 108 2012) 16-jährige Jugendliche, gemeinsam mit Schriftstellerinnen und Schriftstellern schreiben. Es handelt sich um ein Projekt, das 2005 vom Autor Richard Reich in Zürich gegründet wurde – ein ausserschulisches Angebot, das aber im Rahmen der regulären Unterrichtsstunden durchgeführt wird. Seit 2005 wurden über 90 solcher Einzelprojekte in Schulen von mehr als 13 Kantonen der Deutschschweiz durchgeführt seit 2010 gibt es das Projekt auch in der Romandie, ausserdem gibt es Tochterprojekte in Hamburg und in Österreich). Im Rahmen eines SR-Projekts besuchen Schriftstellerinnen und Schriftsteller einmal wöchentlich – undzwar mindestensacht Mal –eine Klasse undarbeiten mit allen Schülerinnen und Schülern an einem gemeinsamen Text. Das Ergebnis wird auf einer eigenen Webseite dokumentiert, der fertige Text als Leseheft oder Buch gedrucktund das Projekt mit einer öffentlichen Lesung in einerdem Kulturbetrieb verbundenen Lokalität etwa in einem Theater, im Literaturhaus Zürichetc.)","PeriodicalId":40293,"journal":{"name":"SCHWEIZERISCHES ARCHIV FUR VOLKSKUNDE","volume":null,"pages":null},"PeriodicalIF":0.1000,"publicationDate":"2012-01-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"SCHWEIZERISCHES ARCHIV FUR VOLKSKUNDE","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.5167/UZH-75915","RegionNum":4,"RegionCategory":"社会学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"0","JCRName":"FOLKLORE","Score":null,"Total":0}
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Abstract
Schulhausromane sind Narrationen, die Jugendliche aus bildungsfernem Umfeld, angeleitet von Schriftstellerinnen und Schriftstellern, verfassen und in welchen diekontextuelle Einbindung des Erzählaktes in hohem Masse relevant ist. In vielen Schulhausroman-Texten werden Luxusvillen von Superstars als Erzählkulissen genutzt, um Imaginationsräume eines «guten Lebens» zu er-öffnen. Bezugnehmend auf Michel Foucault, welcher Heterotopien unter anderem als «reale Räume» beschreibt, die «vollkommen offen» wirken, «aber in Wirklichkeit auf seltsame Weise verschlossen»sind, soll die Frage gestellt werden, inwiefern die in diesem Sinne klassische Heterotopie der legitimen Kulturstätte mit den in Schulhausromanen entworfenen Luxusvillen – die auf Ikonen der Populärkultur verweisen – in Zusammenhang zubringen sind. BeimVersuch, von Jugendlichen gestaltete Videofilme im Hinblick aufdas darin enthaltene Selbstbild dieser Jugendlichen zu untersuchen, stellte Bernd Schorb, Professor für Medienpädagogik an der Universität Leipzig, bereits Mitte der 1980er-Jahre fest, dass das Ergebnis allein die Videofilme) – trotz nachträglicher Befragungen der Jugendlichen – wenig aussagekräftig war. Erst durch den Einbezug von Kenntnissen über die Entstehungsbedingungen und den Entstehungsprozess könnten auch differenziertere Aussageebenen der Filme adäquat analysiert werden, so Schorb. Dasselbe Problem stellt sichauch beiden «Schulhausromanen» den im Zentrum meinesDissertationsprojekts3 stehenden Texten von Jugendlichen. Wendet man nämlich die für literarische Texte, also Erzeugnisse der legitimen Kultur nach Pierre Bourdieu4) relevanten Analysekriterien auf diese Texte an, rücken zwangsläufig die Abweichungen, genauer die sprachlichen und literarischen Defizite in den Vordergrund. Entsprechend müssen die Entstehungsbedingungen und darüber hinaus Kenntnisse über die Entstehungsprozesse die Fragestellungen an diese Texte bestimmen. Inmeinem Dissertationsprojektgeht esmir deshalb darum, eine Definition von Literatur und literarischem Schreiben zu entwickeln, die über die Begriffe Lebenswelt, Bildungsprozesse und Schreiben als Agency zu einem Blick auf das KorpusderSchulhausromane gelangt, welcher die literarischen Qualitäten dieses Schreibens sichtbar macht beziehungsweise sichtbar macht, dass es sich zum Teil um dieselben Qualitäten handelt, welche auch avantgardistische Literatur auszeichnet, die dem Bereich der legitimen Kultur zugeordnet wird. Was ist ein Schulhausroman? Schulhausromane, in der Folge kurz SR genannt, sind fiktionale Texte, welche Schulklassen der unteren Leistungskategorien der Sekundarschule, also 13bis Die Eroberung der Luxusvilla SAVk 108 2012) 16-jährige Jugendliche, gemeinsam mit Schriftstellerinnen und Schriftstellern schreiben. Es handelt sich um ein Projekt, das 2005 vom Autor Richard Reich in Zürich gegründet wurde – ein ausserschulisches Angebot, das aber im Rahmen der regulären Unterrichtsstunden durchgeführt wird. Seit 2005 wurden über 90 solcher Einzelprojekte in Schulen von mehr als 13 Kantonen der Deutschschweiz durchgeführt seit 2010 gibt es das Projekt auch in der Romandie, ausserdem gibt es Tochterprojekte in Hamburg und in Österreich). Im Rahmen eines SR-Projekts besuchen Schriftstellerinnen und Schriftsteller einmal wöchentlich – undzwar mindestensacht Mal –eine Klasse undarbeiten mit allen Schülerinnen und Schülern an einem gemeinsamen Text. Das Ergebnis wird auf einer eigenen Webseite dokumentiert, der fertige Text als Leseheft oder Buch gedrucktund das Projekt mit einer öffentlichen Lesung in einerdem Kulturbetrieb verbundenen Lokalität etwa in einem Theater, im Literaturhaus Zürichetc.)