Imagination and Fantasy in the Middle Ages and Early Modern Time: Projections, Dreams, Monsters, and Illusions. Edited by Albrecht Classen. Berlin: De Gruyter, 2020. xiii + 807 pages + 9 b/w and 24 color images. $181.99 hardcover or e-book.
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Abstract
hervorhebt, die Radikalität seines Ansatzes bestehe ,,ähnlich wie bei Klaus Michael Grüber und Bruno Ganz [ . . . ] in der Infragestellung unserer Gewissheit, wir wüssten, wie Hölderlin heute vorzutragen sei“ (647). Und auch Thomas Kling formuliert an anderer Stelle, dass es sich bei Gedichten und ihren Rezitationen selbst durch die Autor_innen um Artefakte handle, ,,die jeweils ihre eigene Geschichte haben, auch getrennte Geschichte“ (1001). Ein wesentliches Verdienst von Meyer-Kalkus’ Studie besteht darin zu zeigen, dass die Vortragsgeschichte literarischer Texte ein wichtiger, insgesamt unterschätzter Teil ihrer Wirkungsgeschichte ist. Anhand von Goethes ,,Erlkönig“, dem wohl meistrezitierten Gedicht deutscher Sprache, zieht er (Kap. 18) die Summe von Vortragsvorgaben seit der Klassik und Vortragsstilen von Ernst von Possart (1909) bis Otto Sanders (2000). Besonders würdigt er Oskar Werners Rezitation während der Salzburger Festspiele (1970) als ,,unerhörte“ Deutung, die dem Text nicht einfach nur eine neue Schattierung abgewinne, sondern ,,den Vortragsund Deutungskonventionen der Überlieferung zu entreißen“ vermöge: Spätestens, wenn der Rezitator den Vater über ,,die Fiebergespinste seines Sohnes“ lachen lässt, glaube man ,,die familiären Koordinaten zu verstehen, die der Psychose des Sohnes zugrunde liegen. Der Erlkönig verwandelt sich von einem fast alltäglich Sprechenden zu einem Kinderschänder“ (550). Auch wenn es sich hier nicht um moderne, freirhythmische Lyrik handelt, sondern um eine Ballade in Reimen (und, nicht unwichtig, mit Füllungsfreiheit), skizziert Meyer-Kalkus im Ausgang von Schuberts Vertonung, wie sich ,,Berührungspunkte von oratorischer und musikalischer Deklamation“ grundsätzlich interpretatorisch fassen lassen (555). Im Rückgriff auf solche Parameter und Muster-Interpretationen ließe sich auch für gelungene Beispiele von ,,Hörlyrik“ sichtbar machen, dass in ihnen, noch einmal mit Klopstock gesprochen, ,,das Wortlose“ des Rhythmus umherwandelt ,,wie in Homers Schlachten die nur von wenigen gesehnen Götter“ (92).