Selbstbegrenzung kommt nicht von selbst

Q4 Agricultural and Biological Sciences
Dr. Michael Kopatz
{"title":"Selbstbegrenzung kommt nicht von selbst","authors":"Dr. Michael Kopatz","doi":"10.1002/biuz.202070502","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"<p>Liebe Leserinnen und Leser,</p><p>der Lock-Down hat uns in die bisher schwerste wirtschaftliche Krise in der Geschichte der Bundesrepublik gestürzt. Dem Klimaschutz konnte nichts Besseres passieren. Womöglich erreicht Deutschland jetzt doch noch sein Ziel, das Klimagas Kohlendioxid bis zum Jahr 2030 um 40 Prozent zu reduzieren. Das größte Hindernis beim Kampf gegen die Klimahitze ist das permanente Wirtschaftswachstum. Fast alles wird beständig größer, komfortabler, luxuriöser und schneller. In den 1970er Jahren wog ein durchschnittliches Auto noch 700 kg – heute ist es doppelt so viel. Die Wohnungsgröße, ebenso die Größe der Fernseher, hat sich verdoppelt, die Zahl der Flüge wohl eher verzehnfacht. Was würde passieren, wenn wir nicht mehr mitmachen beim Immer-mehr? Wenn die Menschen nur noch Dinge kauften, die sie wirklich benötigen, wenn alles so lang wie möglich genutzt und repariert würde? Das wäre schlecht für eine Wirtschaft, die auf Wachstum angewiesen ist.</p><p>Vielleicht eröffnet die Post-Corona-Phase die Chance für eine Forschungsoffensive für einen Wohlstand ohne Wachstumszwang. Was wir – neben allen Klimaschutzmaßnahmen – dringend benötigen, ist die Beantwortung der Frage, wie sich Wirtschaft und Gesellschaft entwickeln müssten, um weniger abhängig von der permanenten materiellen Expansion zu sein. Sie haben richtig gelesen: Bisher gibt es dazu nicht einmal eine systematische Forschung, geschweige denn eine fertige Strategie. Sehr wahrscheinlich bedarf es einer Förderungspolitik für kürzere Arbeitszeiten. Zudem sind die Kapitalmärkte wieder so stark zu regulieren, wie es in den 1980er noch üblich war, neu wäre hier eine Finanztransaktionssteuer. Zugleich benötigen wir faire und umweltfreundliche Regeln für den Freihandel – das könnte eine Art Klimazoll rechtfertigen. Die Regionalwirtschaft wäre durch eine gezielte Politik zu beleben. Darüber hinaus gibt es viele denkbare Strategien für eine wachstumsbefriedete Wirtschaftsordnung. Was fehlt sind ausgearbeitete Szenarien und Konzepte.</p><p>Beim Umräumen kommt mir das Buch „Selbstbegrenzung“ von Ivan Illich in die Hände. Bereits 1973 kommt der Autor zu dem Fazit: „Die Organisation der ganzen Wirtschaft im Hinblick auf das bessere Leben ist das Haupthindernis für das gute Leben.“ Mit anderen Worten: Die Steigerungslogik unseres Wirtschaftssystems ist eher belastend als beglückend. Und tatsächlich hat uns die Zunahme des materiellen Wohlstands nicht glücklicher gemacht. Seit den 1970er Jahren hat sich Deutschlands Wohlstand vervierfacht, doch das Wohlbefinden blieb unverändert. Glück ist nicht steigerungsfähig wie etwa die Auflösung eines Fernsehers. Weder Flugtaxi noch die fortschreitende Digitalisierung werden das Wohlbefinden steigern.</p><p>Das beschlossene Konjunkturpaket soll Deutschland mit „Wumms“ aus der Krise bringen. Beispielsweise ist mit der Senkung der Mehrwertsteuer beabsichtigt, den Konsum anzukurbeln. Die Bundesregierung möchte so die Bürgerinnen und Bürger dazu ermuntern, nicht nur Dinge zu kaufen, die sie akut benötigen. Die Kleiderschränke mögen voll sein, aber ältere Sachen kann man ja wegschmeißen. So wächst die Wirtschaft. Gut für die Konjunktur ist es auch, wenn sich der Fluglotse eine Sauna anschafft oder die Zahnärztin ein Schwimmbad.</p><p>Die politische und gesellschaftliche Diskussion über Elektroautos, Wasserstofftechnologie und erneuerbare Energien täuscht über die Notwendigkeit der Selbstbegrenzung hinweg. Beispiel Mobilität: CO<sub>2</sub>-Emissionen sollen sich bis zum Jahr 2030 um 40 Prozent verringern, so proklamiert es die Bundesregierung. Der tatsächliche Rückgang liegt bei null Prozent. Kein Wunder, in den letzten zehn Jahren wuchs die Zahl der Autos um mehr als sechs Millionen, trotz Boom beim Car-Sharing. Mit technischen Innovationen allein werden wir die ökologischen Krisen nicht überwinden können. Es genügt nicht, Autos elektrisch zu betreiben. Nach gegenwärtigen Erkenntnissen lässt sich nur höchstens die Hälfte mit Ökostrom betreiben. Wie kommen wir von einer auf Expansion fixierten Wirtschaftsordnung zur Reduktion, wie entstehen soziale Innovationen?</p><p>Selbstbegrenzung kommt nicht von selbst. Ganz offensichtlich verzichten die Menschen nicht aus Altruismus auf ihre Auto. Das ist die Botschaft der Ökoroutine: Unsere Routinen ändern sich nur durch strukturelle Anreize, Verhältnisse ändern Verhalten. Beim Auto heißt das ganz konkret, die Zahl der Parkplätze in den Städten zu reduzieren, Anwohnerparken zu verteuern, Busse zu beschleunigen, Takte zu verdichten und Radwege zu verbreitern. Es muss sich besser anfühlen, sich klimafreundlich fortzubewegen. Über eine Politik der Selbstbegrenzung mochte schon vor der Corona-Krise kaum jemand sprechen. Wir werden um die Erkenntnis nicht herum kommen, dass es nicht anders geht. Zu wünschen wäre, dass nach der Corona-Krise soziale Innovationen wichtiger werden als technische Innovationen.</p><p>Ihr</p>","PeriodicalId":38671,"journal":{"name":"Biologie in Unserer Zeit","volume":"50 5","pages":"295"},"PeriodicalIF":0.0000,"publicationDate":"2020-10-07","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"https://sci-hub-pdf.com/10.1002/biuz.202070502","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Biologie in Unserer Zeit","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/biuz.202070502","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"Q4","JCRName":"Agricultural and Biological Sciences","Score":null,"Total":0}
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Abstract

Liebe Leserinnen und Leser,

der Lock-Down hat uns in die bisher schwerste wirtschaftliche Krise in der Geschichte der Bundesrepublik gestürzt. Dem Klimaschutz konnte nichts Besseres passieren. Womöglich erreicht Deutschland jetzt doch noch sein Ziel, das Klimagas Kohlendioxid bis zum Jahr 2030 um 40 Prozent zu reduzieren. Das größte Hindernis beim Kampf gegen die Klimahitze ist das permanente Wirtschaftswachstum. Fast alles wird beständig größer, komfortabler, luxuriöser und schneller. In den 1970er Jahren wog ein durchschnittliches Auto noch 700 kg – heute ist es doppelt so viel. Die Wohnungsgröße, ebenso die Größe der Fernseher, hat sich verdoppelt, die Zahl der Flüge wohl eher verzehnfacht. Was würde passieren, wenn wir nicht mehr mitmachen beim Immer-mehr? Wenn die Menschen nur noch Dinge kauften, die sie wirklich benötigen, wenn alles so lang wie möglich genutzt und repariert würde? Das wäre schlecht für eine Wirtschaft, die auf Wachstum angewiesen ist.

Vielleicht eröffnet die Post-Corona-Phase die Chance für eine Forschungsoffensive für einen Wohlstand ohne Wachstumszwang. Was wir – neben allen Klimaschutzmaßnahmen – dringend benötigen, ist die Beantwortung der Frage, wie sich Wirtschaft und Gesellschaft entwickeln müssten, um weniger abhängig von der permanenten materiellen Expansion zu sein. Sie haben richtig gelesen: Bisher gibt es dazu nicht einmal eine systematische Forschung, geschweige denn eine fertige Strategie. Sehr wahrscheinlich bedarf es einer Förderungspolitik für kürzere Arbeitszeiten. Zudem sind die Kapitalmärkte wieder so stark zu regulieren, wie es in den 1980er noch üblich war, neu wäre hier eine Finanztransaktionssteuer. Zugleich benötigen wir faire und umweltfreundliche Regeln für den Freihandel – das könnte eine Art Klimazoll rechtfertigen. Die Regionalwirtschaft wäre durch eine gezielte Politik zu beleben. Darüber hinaus gibt es viele denkbare Strategien für eine wachstumsbefriedete Wirtschaftsordnung. Was fehlt sind ausgearbeitete Szenarien und Konzepte.

Beim Umräumen kommt mir das Buch „Selbstbegrenzung“ von Ivan Illich in die Hände. Bereits 1973 kommt der Autor zu dem Fazit: „Die Organisation der ganzen Wirtschaft im Hinblick auf das bessere Leben ist das Haupthindernis für das gute Leben.“ Mit anderen Worten: Die Steigerungslogik unseres Wirtschaftssystems ist eher belastend als beglückend. Und tatsächlich hat uns die Zunahme des materiellen Wohlstands nicht glücklicher gemacht. Seit den 1970er Jahren hat sich Deutschlands Wohlstand vervierfacht, doch das Wohlbefinden blieb unverändert. Glück ist nicht steigerungsfähig wie etwa die Auflösung eines Fernsehers. Weder Flugtaxi noch die fortschreitende Digitalisierung werden das Wohlbefinden steigern.

Das beschlossene Konjunkturpaket soll Deutschland mit „Wumms“ aus der Krise bringen. Beispielsweise ist mit der Senkung der Mehrwertsteuer beabsichtigt, den Konsum anzukurbeln. Die Bundesregierung möchte so die Bürgerinnen und Bürger dazu ermuntern, nicht nur Dinge zu kaufen, die sie akut benötigen. Die Kleiderschränke mögen voll sein, aber ältere Sachen kann man ja wegschmeißen. So wächst die Wirtschaft. Gut für die Konjunktur ist es auch, wenn sich der Fluglotse eine Sauna anschafft oder die Zahnärztin ein Schwimmbad.

Die politische und gesellschaftliche Diskussion über Elektroautos, Wasserstofftechnologie und erneuerbare Energien täuscht über die Notwendigkeit der Selbstbegrenzung hinweg. Beispiel Mobilität: CO2-Emissionen sollen sich bis zum Jahr 2030 um 40 Prozent verringern, so proklamiert es die Bundesregierung. Der tatsächliche Rückgang liegt bei null Prozent. Kein Wunder, in den letzten zehn Jahren wuchs die Zahl der Autos um mehr als sechs Millionen, trotz Boom beim Car-Sharing. Mit technischen Innovationen allein werden wir die ökologischen Krisen nicht überwinden können. Es genügt nicht, Autos elektrisch zu betreiben. Nach gegenwärtigen Erkenntnissen lässt sich nur höchstens die Hälfte mit Ökostrom betreiben. Wie kommen wir von einer auf Expansion fixierten Wirtschaftsordnung zur Reduktion, wie entstehen soziale Innovationen?

Selbstbegrenzung kommt nicht von selbst. Ganz offensichtlich verzichten die Menschen nicht aus Altruismus auf ihre Auto. Das ist die Botschaft der Ökoroutine: Unsere Routinen ändern sich nur durch strukturelle Anreize, Verhältnisse ändern Verhalten. Beim Auto heißt das ganz konkret, die Zahl der Parkplätze in den Städten zu reduzieren, Anwohnerparken zu verteuern, Busse zu beschleunigen, Takte zu verdichten und Radwege zu verbreitern. Es muss sich besser anfühlen, sich klimafreundlich fortzubewegen. Über eine Politik der Selbstbegrenzung mochte schon vor der Corona-Krise kaum jemand sprechen. Wir werden um die Erkenntnis nicht herum kommen, dass es nicht anders geht. Zu wünschen wäre, dass nach der Corona-Krise soziale Innovationen wichtiger werden als technische Innovationen.

Ihr

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自我限制
现在,亲爱的读者们,lockhart使我们陷入了德国有史以来最严重的经济危机对抗气候的行动不会有更好结果也许德国已经实现了其到2030年减排40%的目标。持续的经济增长是对抗气候变热的主要障碍。几乎所有东西都越来越大、舒服、奢华、快速在20世纪70年代,一辆半公斤的汽车同样重,就是今天的两倍。房子的尺寸和电视的尺寸都翻了一番,而飞机的机率则是增长了一倍。如果我们停止参与免疫会发生什么?假设人们只是买了他们真正需要的东西如果一切都使用和维修得越久这对一个经济依赖于增长的国家来说是不好的。也许后科罗娜阶段会为不需要增长的繁荣而发动研究。除去所有的气候政策,我们现在急需的是一个经济和社会如何才能摆脱对物质扩张的永久依赖的问题。正如你所读到的,这方面的研究还未进行过系统研究,更不用说完成研究了。很可能需要采取缩短工作时间的激励政策。此外,设立资本市场,就像20世纪80年代那样,也是一个金融交易税。与此同时,我们需要公平而环保的规则来进行自由贸易——这或许符合气候税的要求。可以制订一些明确的政策,重振区域经济。此外,有许多切实可行的战略可以解决增长问题。你需要的是一个精心设计的策略搬家的时候伊万不愿意给我的"自我限制"书早在1973年,作者就说:“经济组织整体,努力改善生活是白头到头的主要障碍。"换句话说,我们的经济制度的盛行逻辑与其说是富有,不如说是有效的。实际上,物质财富的增长并没有让我们更幸福。自20世纪70年代以来,德国的财富增长了四倍,但幸福气没有改变。不,快乐可没有电视机的分辨率不管是出租车还是数字化带来的幸福感都不会增加。已经决定的经济刺激计划旨在把德国带出危机。比如,降低增值税就是要提高消费。联邦政府要鼓励这些公民,不要只是购买他们迫切需要的东西。我知道衣橱里有很多旧衣服但旧的总可以扔了吧你真行。可巡洋工也得带一个蒸气浴和一个游泳池。关于电动汽车、氢技术和可再生能源的政治和社会讨论荒谬地忽视了自我限制的需要。比如交通活动:联邦政府发布的一项公告说,到2030年,二氧化碳排放量预计将减少40%。实际下降是零。其实过去10年里科技革新不足以解决生态危机。让汽车使用电是不够的据目前的了解,只有大约一半的人能够承受环保电力。我们如何从专注扩张的经济秩序转变为下降的经济,社会创新如何产生?自我限制我并不认为人们会为了别人而放弃他们的汽车这就是食宿所告诉我们的道理具体来说,开车意味着减少城市停车位、提高当地停车位、加速公交、阻塞音乐及增加自行车道。它必须感觉更好的转移到气候友好。在发生科罗纳危机之前很少有人提到自我限制政策。我们必须认识到没有别的办法。该希望在发生科罗娜危机后,社会创新能比技术创新更重要。她
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Biologie in Unserer Zeit
Biologie in Unserer Zeit Agricultural and Biological Sciences-Agricultural and Biological Sciences (all)
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期刊介绍: Die Biologie avanciert im Eiltempo zur zentralen Wissenschaft dieses Jahrhunderts. Biologie in unserer Zeit gibt Einblicke in komplexe Zusammenhänge und Einsichten in das gesamte Spektrum der Biologie. Namhafte Autoren bringen Ihnen die aufregenden Neuentwicklungen näher - auf verständliche Weise und farbig illustriert. In den Rubriken jeder Ausgabe finden Profis und solche, die es werden wollen: - Neuestes aus Forschung und Anwendung - Witziges, Wesentliches und Rätselhaftes - Historisches Hintergrundwissen - Lesenswertes, Berufe, Hinweise zu Fort- und Weiterbildung und vieles mehr.... Begleiten Sie die Autoren von Biologie in unserer Zeit bei der Forschung oder zu seltenen Lebensräumen und Lebensformen. Nutzen Sie die Rubrik „Das Experiment" zum Nachvollziehen spannender Versuche, lernen Sie verschiedene Bioberufe kennen und lassen Sie sich durch Buchbesprechungen zu neuer Lektüre anregen. Biologie in unserer Zeit ist das Verbandsorgan des Verbandes Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin in Deutschland e. V. (VBIO)
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