{"title":"Vertrag kommt von vertragen","authors":"Karsten Lühmann","doi":"10.1002/gete.202370203","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"<p>Eine häufig zitierte Redewendung besagt, dass Vertrag von vertragen käme. Auf den ersten Blick sind Vertrag und vertragen zwei Wörter, die sehr ähnlich klingen. Jeder wünscht sich, dass dieser Satz für alle Projektbeteiligten gleichermaßen gilt, aber das tägliche Miteinander zeigt, wie schwierig es ist, diesen guten Grundsatz aufrechtzuerhalten.</p><p>Per Definition ist ein Vertrag ein Rechtsgeschäft, das aus inhaltlich übereinstimmenden, mit Bezug aufeinander abgegebenen Willenserklärungen von mindestens zwei Personen besteht. Während Verträge für den Erfolg einer Geschäftsbeziehung unerlässlich sind, da sie Regelungen schaffen, die die Interessen der Geschäftspartner schützen, ist es ebenso wichtig, dass die Parteien in der Lage sind, miteinander auszukommen und sich zu vertragen. In diesem Kontext bedeutet vertragen, dass beide Parteien bereit sein müssen, Kompromisse einzugehen und ihre Erwartungen anzupassen, um eine Vereinbarung zu treffen, die für beide Seiten akzeptabel ist. In einer sich schnell verändernden Welt, die immer mehr vernetzt und globalisiert wird, ist die Fähigkeit, miteinander auszukommen, genauso wichtig wie die Fähigkeit, einen Vertrag zu verhandeln und abzuschließen.</p><p>Gelingt dieses nicht, ist der Dissens meistens in der inhaltlichen Übereinstimmung der Willenserklärung zu finden. Auch wenn man noch so sehr versucht, einen Vertragsinhalt exakt zu beschreiben, gibt es immer einen Interpretationsspielraum, der von den Parteien zu ihren Gunsten ausgelegt werden kann.</p><p>Gerade im Bauwesen, wo fast jedes Projekt ein Unikat ist, ist die Vertragsgestaltung häufig sehr komplex und es bestehen im Nachhinein nicht selten unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Vertragsauslegung. Dadurch besteht in der Ausführungsphase die Gefahr von Streitigkeiten zwischen den Projektbeteiligten, die dann im ungünstigsten Fall vor Gericht ausgetragen werden. Um diesem Prozess bereits in den Anfängen entgegenzuwirken, sind auf beiden Seiten Projektbeteiligte erforderlich, die die notwendigen technischen und sozialen Kompetenzen besitzen, mit den nötigen Vollmachten ausgestattet sind und den Willen haben, die Konflikte beizulegen, um das gemeinsame Ziel zu erreichen, oder kurz gesagt, sich zu vertragen.</p><p>Um diesen Prozess zu unterstützen, wird auf verschiedenen Ebenen versucht, neue Wege der Zusammenarbeit zu entwickeln und zu etablieren. Eines der vielversprechendsten Verfahren ist die „Integrierte Projektabwicklung“ (IPA) auf Basis eines Mehrparteiensystems. Diesem System liegen acht Charakteristika zu Grunde, die allesamt erfüllt sein müssen, um ein Projekt als IPA-Projekt einzuordnen. Für das „Vertragen“ sind dabei die Charakteristika „gemeinsames Risikomanagement“, „gemeinsame Entscheidungen“ sowie „lösungsorientierte Konfliktbearbeitung“ von entscheidender Bedeutung. Hierdurch können die Projektbeteiligten auf Augenhöhe agieren und den Grundgedanken „Best for Project“ verwirklichen.</p><p>Ein neuer Umgang in der Zusammenarbeit ist auch erforderlich, um das Image der Bauwirtschaft positiv zu verändern und damit die junge Generation für das Bauwesen zu interessieren. Niemand entscheidet sich gerne für eine Branche, in der viel Kraft darauf verwendet wird, sich zu streiten, anstatt sie für die Verwirklichung des Projektes einzusetzen.</p><p>Der Fachkräftemangel in der Bauwirtschaft bleibt sicherlich eine der großen Herausforderungen der nächsten Jahre. Es bedarf eines gemeinsamen Engagements von Unternehmen, Politik und Bildungseinrichtungen, um die Attraktivität zu steigern und somit die Zukunftsfähigkeit der Branche zu sichern. Nur so können wir sicherstellen, dass auch in Zukunft spannende und herausfordernde Infrastruktur- und Immobilienprojekte umgesetzt werden können.</p><p>Schließen möchte ich mit einem Zitat des Öl-Tycoons Jean Paul Getty:</p><p><i>„Wenn man einem Menschen vertrauen kann, erübrigt sich ein Vertrag.Wenn man ihm nicht vertrauen kann, ist ein Vertrag nutzlos.“</i></p><p>In diesem Sinne viel Spaß bei der Lektüre der neuen Ausgabe der Zeitschrift <i>geotechnik</i>.</p><p>Karsten Lühmann</p><p>Mitglied des Vorstandes der DGGT</p>","PeriodicalId":43155,"journal":{"name":"Geotechnik","volume":"46 2","pages":"83-84"},"PeriodicalIF":0.5000,"publicationDate":"2023-06-13","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1002/gete.202370203","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Geotechnik","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/gete.202370203","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"Q4","JCRName":"ENGINEERING, GEOLOGICAL","Score":null,"Total":0}
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Abstract
Eine häufig zitierte Redewendung besagt, dass Vertrag von vertragen käme. Auf den ersten Blick sind Vertrag und vertragen zwei Wörter, die sehr ähnlich klingen. Jeder wünscht sich, dass dieser Satz für alle Projektbeteiligten gleichermaßen gilt, aber das tägliche Miteinander zeigt, wie schwierig es ist, diesen guten Grundsatz aufrechtzuerhalten.
Per Definition ist ein Vertrag ein Rechtsgeschäft, das aus inhaltlich übereinstimmenden, mit Bezug aufeinander abgegebenen Willenserklärungen von mindestens zwei Personen besteht. Während Verträge für den Erfolg einer Geschäftsbeziehung unerlässlich sind, da sie Regelungen schaffen, die die Interessen der Geschäftspartner schützen, ist es ebenso wichtig, dass die Parteien in der Lage sind, miteinander auszukommen und sich zu vertragen. In diesem Kontext bedeutet vertragen, dass beide Parteien bereit sein müssen, Kompromisse einzugehen und ihre Erwartungen anzupassen, um eine Vereinbarung zu treffen, die für beide Seiten akzeptabel ist. In einer sich schnell verändernden Welt, die immer mehr vernetzt und globalisiert wird, ist die Fähigkeit, miteinander auszukommen, genauso wichtig wie die Fähigkeit, einen Vertrag zu verhandeln und abzuschließen.
Gelingt dieses nicht, ist der Dissens meistens in der inhaltlichen Übereinstimmung der Willenserklärung zu finden. Auch wenn man noch so sehr versucht, einen Vertragsinhalt exakt zu beschreiben, gibt es immer einen Interpretationsspielraum, der von den Parteien zu ihren Gunsten ausgelegt werden kann.
Gerade im Bauwesen, wo fast jedes Projekt ein Unikat ist, ist die Vertragsgestaltung häufig sehr komplex und es bestehen im Nachhinein nicht selten unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Vertragsauslegung. Dadurch besteht in der Ausführungsphase die Gefahr von Streitigkeiten zwischen den Projektbeteiligten, die dann im ungünstigsten Fall vor Gericht ausgetragen werden. Um diesem Prozess bereits in den Anfängen entgegenzuwirken, sind auf beiden Seiten Projektbeteiligte erforderlich, die die notwendigen technischen und sozialen Kompetenzen besitzen, mit den nötigen Vollmachten ausgestattet sind und den Willen haben, die Konflikte beizulegen, um das gemeinsame Ziel zu erreichen, oder kurz gesagt, sich zu vertragen.
Um diesen Prozess zu unterstützen, wird auf verschiedenen Ebenen versucht, neue Wege der Zusammenarbeit zu entwickeln und zu etablieren. Eines der vielversprechendsten Verfahren ist die „Integrierte Projektabwicklung“ (IPA) auf Basis eines Mehrparteiensystems. Diesem System liegen acht Charakteristika zu Grunde, die allesamt erfüllt sein müssen, um ein Projekt als IPA-Projekt einzuordnen. Für das „Vertragen“ sind dabei die Charakteristika „gemeinsames Risikomanagement“, „gemeinsame Entscheidungen“ sowie „lösungsorientierte Konfliktbearbeitung“ von entscheidender Bedeutung. Hierdurch können die Projektbeteiligten auf Augenhöhe agieren und den Grundgedanken „Best for Project“ verwirklichen.
Ein neuer Umgang in der Zusammenarbeit ist auch erforderlich, um das Image der Bauwirtschaft positiv zu verändern und damit die junge Generation für das Bauwesen zu interessieren. Niemand entscheidet sich gerne für eine Branche, in der viel Kraft darauf verwendet wird, sich zu streiten, anstatt sie für die Verwirklichung des Projektes einzusetzen.
Der Fachkräftemangel in der Bauwirtschaft bleibt sicherlich eine der großen Herausforderungen der nächsten Jahre. Es bedarf eines gemeinsamen Engagements von Unternehmen, Politik und Bildungseinrichtungen, um die Attraktivität zu steigern und somit die Zukunftsfähigkeit der Branche zu sichern. Nur so können wir sicherstellen, dass auch in Zukunft spannende und herausfordernde Infrastruktur- und Immobilienprojekte umgesetzt werden können.
Schließen möchte ich mit einem Zitat des Öl-Tycoons Jean Paul Getty:
„Wenn man einem Menschen vertrauen kann, erübrigt sich ein Vertrag.Wenn man ihm nicht vertrauen kann, ist ein Vertrag nutzlos.“
In diesem Sinne viel Spaß bei der Lektüre der neuen Ausgabe der Zeitschrift geotechnik.
期刊介绍:
Die Zeitschrift "geotechnik" ist das Organ der Deutschen Gesellschaft für Geotechnik e.V (DGGT) und erscheint viermal jährlich. Die Themen- schwerpunkte entsprechen den Fachsektionen der DGGT und umfassen Bodenmechanik, Erd- und Grundbau, Felsmechanik, Ingenieurgeologie, Geokunststoffe sowie Umweltgeotechnik. Die Schwerpunkte einer Ausgabe werden jeweils von einer Fachsektion gestellt und auch um Beiträge aus anderen Themenbereichen ergänzt. Mitteilungen der DGGT, CBTR-Nachrichten des Centrums für Deutsches und Internationales Baugrund- und Tiefbaurecht e.V., Nachrichten aus der Industrie.