{"title":"„New Work“ im Ingenieurbüro?","authors":"Antje Müller-Kirchenbauer","doi":"10.1002/gete.202370303","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"<p><i>„Remote-Arbeit, 4-Tage Woche und 35 Urlaubstage wären Voraussetzung. Vertrauensarbeitszeit wäre auch noch gut!“</i> Das sind Sätze, die uns als Arbeitgeber im Bewerbungsgespräch der älteren Generation zunächst vom Stuhl kippen lassen, aber durchaus nicht mehr die Ausnahme sind und mit viel Selbstbewusstsein vorgetragen werden.</p><p>Die Generationen Y und Z (ab 1980 geboren) sind in Baufirmen, Ingenieurbüros und Behörden angekommen. „Arbeit ist kein Ponyhof“ warnte Andrea Nahles noch im Februar, doch neben aller Kritik sollten wir die Vorteile dieser Generation für den Arbeitsmarkt nicht übersehen. Diese junge Generation ist technologieaffin, mit fallweisen Abstrichen in den Grundlagenfächern gut ausgebildet, perfekt vernetzt, oftmals auslandserfahren, um Sinnhaftigkeit in der Arbeit bemüht und hat die Bedeutung des lebenslangen Lernens früh verinnerlicht. Es lohnt sich also besonders im Ingenieurberuf, genau hinzuschauen, wie diese Personalressourcen für die Bauwirtschaft gewonnen und vor allem auch gehalten werden können. Die Ideen des „New Work“-Konzepts finden in dieser Generation besonders großen Anklang und sind eng mit deren Werten und Bedürfnissen verknüpft. Flexibilität, Work-Life-Balance und Remote-Arbeitsmodelle werden von dieser selbstbewussten Generation erwartet, die im Bereich der Ingenieurwissenschaften zumeist schon während des Studiums den „War of Talent“ erlebt. Die meisten haben bereits vor dem endgültigen Abschluss eine feste Zusage für ein Arbeitsverhältnis.</p><p>Hört man sich in heutigen Führungsetagen unserer Fachwelt um, die noch von der in den 60er- und 70er-Jahren geborenen Generation geprägt sind, wird vor allem der Begriff Work-Life-Balance nicht immer positiv gesehen und teilweise auch mit Sorge und Spott belegt. Doch ehrlicher Weise wünscht sich kaum jemand das überalterte Konzept mit Konkurrenzkampf, wenig Feedback, kernigen Präsenzzeiten und Überstunden zurück, wenngleich wir „Älteren“ vielleicht eine gerade dem Ingenieur oft nachgesagte unbegrenzte Arbeitsfreude, die eine Unterteilung in Work und Life für uns nicht notwendig erscheinen ließ, bei der oben beschriebenen Generation ein wenig wehmütig vermissen.</p><p>Beschleunigt durch die Corona-Krise hat sich die Arbeitswelt ohnehin dramatisch verändert, und auch Ingenieurbüros sind von diesem Wandel betroffen. Der Begriff „New Work“ ist dabei zu einem Schlagwort geworden, das für eine revolutionäre Neugestaltung der Arbeitswelt und -weise steht. Der Begriff „New Work“ geht auf den Philosophen Frithjof Bergmann zurück und begreift die Arbeit als etwas, das der Arbeitnehmer als sinnvoll ansehen und unbedingt erledigen will. Das Wunderbare am Ingenieurberuf ist wohl zunächst, dass wir uns die Frage nach dem Sinn selten – und wenn überhaupt, nur im Zusammenhang bestimmter Regelungen und Gesetzgebungen – stellen müssen.</p><p>New Work erfordert jedoch insgesamt einen Paradigmenwechsel in unserer Arbeitsweise, der von Selbstbestimmung, Kreativität und einer stärkeren Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben geprägt ist. Der Anspruch an Führungskräfte hat sich ebenfalls gewandelt, der veraltete Begriff des „Chefs“ gleicht aus heutiger Sicht eher dem eines Mentors, der mit Empathie und Offenheit agiert. Anstelle traditioneller Hierarchien und starrer Arbeitszeiten stehen Eigenverantwortung, Vertrauen und Teamarbeit im Fokus. Vor allem junge Mütter, die wir unbedingt im Arbeitsmarkt halten sollten, brauchen nicht kürzere sondern zeitlich und örtlich höchst flexible Arbeitszeiten.</p><p>Insofern liegt hier gerade für mittelständische Unternehmen und Ingenieurbüros mit übersichtlicher Mitarbeiteranzahl eine Chance. Öffnen sich solche Unternehmen für neue Konzepte, können sie diesen Wandel mit ihrer eher unkomplizierten Struktur in vielen Bereichen durchaus schnell und effektiv umsetzen, um somit Talente anzuziehen und vor allem auch langfristig zu halten, denn auch die Bereitschaft zum schnellen Arbeitsplatzwechsel ist gestiegen. Gerade im Ingenieurbüro für Geotechnik ist Remote-Arbeit durchaus umsetzbar. Die oftmals umfangreichen Berichte können im Homeoffice bearbeitet werden, flache Hierarchien sind ohnehin schon vielerorts gelebte Praxis. Gleichzeitig müssen jedoch im Büroalltag Strukturen geschaffen werden, die Loyalität und Zugehörigkeitsgefühl wieder steigern. Zudem muss der aktive fachliche Austausch unter Kollegen, der in unserem Beruf von immenser Wichtigkeit ist, erhalten bleiben und gefördert werden. Letzteres ist vor allem dann wichtig, wenn Homeoffice und On-Remote-Arbeit gelebt werden, denn die größte Entbehrung dieser Modelle sind die sozialen Kontakte am Arbeitsplatz. Es lohnt sich also, sowohl in die Arbeitsplatzgestaltung sowie in die Gestaltung sozialer Bereiche und Team-Events zu investieren.</p><p>Insgesamt sollten wir das Konzept New Work und die Bedürfnisse der kommenden Generationen positiver annehmen und aktiv mitgestalten. Die Baubranche neigt oftmals ein wenig dazu, sich mit Neuerungen und moderneren Strukturen schwer zu tun. Im Ergebnis können wir damit jedoch nicht nur unsere eigene Kreativität und Arbeitszufriedenheit steigern, sondern auch die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen erhöhen.</p><p>Antje Müller-Kirchenbauer</p>","PeriodicalId":43155,"journal":{"name":"Geotechnik","volume":"46 3","pages":"151-152"},"PeriodicalIF":0.5000,"publicationDate":"2023-09-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1002/gete.202370303","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Geotechnik","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/gete.202370303","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"Q4","JCRName":"ENGINEERING, GEOLOGICAL","Score":null,"Total":0}
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Abstract
„Remote-Arbeit, 4-Tage Woche und 35 Urlaubstage wären Voraussetzung. Vertrauensarbeitszeit wäre auch noch gut!“ Das sind Sätze, die uns als Arbeitgeber im Bewerbungsgespräch der älteren Generation zunächst vom Stuhl kippen lassen, aber durchaus nicht mehr die Ausnahme sind und mit viel Selbstbewusstsein vorgetragen werden.
Die Generationen Y und Z (ab 1980 geboren) sind in Baufirmen, Ingenieurbüros und Behörden angekommen. „Arbeit ist kein Ponyhof“ warnte Andrea Nahles noch im Februar, doch neben aller Kritik sollten wir die Vorteile dieser Generation für den Arbeitsmarkt nicht übersehen. Diese junge Generation ist technologieaffin, mit fallweisen Abstrichen in den Grundlagenfächern gut ausgebildet, perfekt vernetzt, oftmals auslandserfahren, um Sinnhaftigkeit in der Arbeit bemüht und hat die Bedeutung des lebenslangen Lernens früh verinnerlicht. Es lohnt sich also besonders im Ingenieurberuf, genau hinzuschauen, wie diese Personalressourcen für die Bauwirtschaft gewonnen und vor allem auch gehalten werden können. Die Ideen des „New Work“-Konzepts finden in dieser Generation besonders großen Anklang und sind eng mit deren Werten und Bedürfnissen verknüpft. Flexibilität, Work-Life-Balance und Remote-Arbeitsmodelle werden von dieser selbstbewussten Generation erwartet, die im Bereich der Ingenieurwissenschaften zumeist schon während des Studiums den „War of Talent“ erlebt. Die meisten haben bereits vor dem endgültigen Abschluss eine feste Zusage für ein Arbeitsverhältnis.
Hört man sich in heutigen Führungsetagen unserer Fachwelt um, die noch von der in den 60er- und 70er-Jahren geborenen Generation geprägt sind, wird vor allem der Begriff Work-Life-Balance nicht immer positiv gesehen und teilweise auch mit Sorge und Spott belegt. Doch ehrlicher Weise wünscht sich kaum jemand das überalterte Konzept mit Konkurrenzkampf, wenig Feedback, kernigen Präsenzzeiten und Überstunden zurück, wenngleich wir „Älteren“ vielleicht eine gerade dem Ingenieur oft nachgesagte unbegrenzte Arbeitsfreude, die eine Unterteilung in Work und Life für uns nicht notwendig erscheinen ließ, bei der oben beschriebenen Generation ein wenig wehmütig vermissen.
Beschleunigt durch die Corona-Krise hat sich die Arbeitswelt ohnehin dramatisch verändert, und auch Ingenieurbüros sind von diesem Wandel betroffen. Der Begriff „New Work“ ist dabei zu einem Schlagwort geworden, das für eine revolutionäre Neugestaltung der Arbeitswelt und -weise steht. Der Begriff „New Work“ geht auf den Philosophen Frithjof Bergmann zurück und begreift die Arbeit als etwas, das der Arbeitnehmer als sinnvoll ansehen und unbedingt erledigen will. Das Wunderbare am Ingenieurberuf ist wohl zunächst, dass wir uns die Frage nach dem Sinn selten – und wenn überhaupt, nur im Zusammenhang bestimmter Regelungen und Gesetzgebungen – stellen müssen.
New Work erfordert jedoch insgesamt einen Paradigmenwechsel in unserer Arbeitsweise, der von Selbstbestimmung, Kreativität und einer stärkeren Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben geprägt ist. Der Anspruch an Führungskräfte hat sich ebenfalls gewandelt, der veraltete Begriff des „Chefs“ gleicht aus heutiger Sicht eher dem eines Mentors, der mit Empathie und Offenheit agiert. Anstelle traditioneller Hierarchien und starrer Arbeitszeiten stehen Eigenverantwortung, Vertrauen und Teamarbeit im Fokus. Vor allem junge Mütter, die wir unbedingt im Arbeitsmarkt halten sollten, brauchen nicht kürzere sondern zeitlich und örtlich höchst flexible Arbeitszeiten.
Insofern liegt hier gerade für mittelständische Unternehmen und Ingenieurbüros mit übersichtlicher Mitarbeiteranzahl eine Chance. Öffnen sich solche Unternehmen für neue Konzepte, können sie diesen Wandel mit ihrer eher unkomplizierten Struktur in vielen Bereichen durchaus schnell und effektiv umsetzen, um somit Talente anzuziehen und vor allem auch langfristig zu halten, denn auch die Bereitschaft zum schnellen Arbeitsplatzwechsel ist gestiegen. Gerade im Ingenieurbüro für Geotechnik ist Remote-Arbeit durchaus umsetzbar. Die oftmals umfangreichen Berichte können im Homeoffice bearbeitet werden, flache Hierarchien sind ohnehin schon vielerorts gelebte Praxis. Gleichzeitig müssen jedoch im Büroalltag Strukturen geschaffen werden, die Loyalität und Zugehörigkeitsgefühl wieder steigern. Zudem muss der aktive fachliche Austausch unter Kollegen, der in unserem Beruf von immenser Wichtigkeit ist, erhalten bleiben und gefördert werden. Letzteres ist vor allem dann wichtig, wenn Homeoffice und On-Remote-Arbeit gelebt werden, denn die größte Entbehrung dieser Modelle sind die sozialen Kontakte am Arbeitsplatz. Es lohnt sich also, sowohl in die Arbeitsplatzgestaltung sowie in die Gestaltung sozialer Bereiche und Team-Events zu investieren.
Insgesamt sollten wir das Konzept New Work und die Bedürfnisse der kommenden Generationen positiver annehmen und aktiv mitgestalten. Die Baubranche neigt oftmals ein wenig dazu, sich mit Neuerungen und moderneren Strukturen schwer zu tun. Im Ergebnis können wir damit jedoch nicht nur unsere eigene Kreativität und Arbeitszufriedenheit steigern, sondern auch die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen erhöhen.
期刊介绍:
Die Zeitschrift "geotechnik" ist das Organ der Deutschen Gesellschaft für Geotechnik e.V (DGGT) und erscheint viermal jährlich. Die Themen- schwerpunkte entsprechen den Fachsektionen der DGGT und umfassen Bodenmechanik, Erd- und Grundbau, Felsmechanik, Ingenieurgeologie, Geokunststoffe sowie Umweltgeotechnik. Die Schwerpunkte einer Ausgabe werden jeweils von einer Fachsektion gestellt und auch um Beiträge aus anderen Themenbereichen ergänzt. Mitteilungen der DGGT, CBTR-Nachrichten des Centrums für Deutsches und Internationales Baugrund- und Tiefbaurecht e.V., Nachrichten aus der Industrie.