{"title":"Antike Sehbedingungen und moderne Ausstellungskonventionen","authors":"Tina Zürn","doi":"10.1515/zkg-2020-3009","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Seit 2014 ist der Pergamonaltar wegen umfangreicher Instandsetzungsarbeiten auf der Museumsinsel den Blicken der Öffentlichkeit entzogen. Rechtzeitig vor der geplanten Wiedereröffnung im Jahr 2024 nutzt Lothar Haselberger die Gunst der Stunde, um den Pergamonaltar buchstäblich in ein neues Licht zu rücken. Das Forschungsinteresse seiner umfassenden Studie ist im Untertitel mit den Begriffen Schatten, Raum und Wahrnehmung benannt. Im Mittelpunkt seines wichtigen Beitrags zur Neubewertung des Hellenismus stehen die wirkungsästhetischen Wechselwirkungen zwischen dem Großen Altar von Pergamon und dem Artemistempel in Magnesia. Die Erkenntnisse aus der vergleichenden Betrachtung münden in Vorschläge für eine neukonzipierte Aufstellung im Pergamonmuseum, die die Wahrnehmungsgeschichte des Altars um ein neues Kapitel ergänzen könnte. Die beiden Schlüsselwerke der hellenistischen Epoche sind räumlich nicht nur durch die Nähe ihrer Fundorte an der Westküste Kleinasiens verbunden, sondern auch durch ihre heutigen Aufstellungsorte im Pergamonmuseum in Berlin. Zeitlich trennt die beiden Monumente vermutlich eine Generation, insofern der jüngere Pergamonaltar inzwischen um 170 v. Chr. datiert wird, während der ältere Artemistempel wohl um 200 v. Chr. entstanden ist. Dass der für den Tempel bezeugte Architekt Hermogenes auch beim Altar mitgewirkt haben könnte, fand bislang keinen Widerhall in der Forschung. Diese These kann auch von Haselberger, so viel sei vorweggenommen, nicht durch belastbare Belege erhärtet werden. Als Arbeitshypothese ermöglicht sie es ihm jedoch, auch den Pergamonaltar auf die bedeutenden schriftlichen Zeugnisse zurückzuführen, die von Hermogenes überliefert sind. Die architekturtheoretischen Überlegungen des Tempelarchitekten, der als Erfinder des Pseudodipteros gilt, waren in der Antike noch als Quellen verfügbar und wurden von Vitruv rückblickend beschrieben. Zentral für Haselbergers Fragestellung sind insbesondere zwei Begriffe – asperitas und effectus –, die im Zusammenhang mit der untersuchten Wirkungsästhetik der Säulenarchitekturen relevant sind. Vor allem den kontrastreichen Umgang mit Licht und Schatten interpretiert Haselberger als konstituierend für den Bautypus des Pseudodipteros, insofern die fehlende zweite Säulenreihe durch gezielt eingesetzte Schattenreflexionen an die Cellawand projiziert wird. Solche Effekte werden wiederum am Pergamonaltar auf kongeniale Weise weiterentwickelt und als produktive Augentäuschung für eine gesteigerte Tiefenwirkung eingesetzt.","PeriodicalId":43164,"journal":{"name":"ZEITSCHRIFT FUR KUNSTGESCHICHTE","volume":"83 1","pages":"422 - 426"},"PeriodicalIF":0.1000,"publicationDate":"2020-09-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"https://sci-hub-pdf.com/10.1515/zkg-2020-3009","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"ZEITSCHRIFT FUR KUNSTGESCHICHTE","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.1515/zkg-2020-3009","RegionNum":2,"RegionCategory":"艺术学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"0","JCRName":"ART","Score":null,"Total":0}
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Abstract
Seit 2014 ist der Pergamonaltar wegen umfangreicher Instandsetzungsarbeiten auf der Museumsinsel den Blicken der Öffentlichkeit entzogen. Rechtzeitig vor der geplanten Wiedereröffnung im Jahr 2024 nutzt Lothar Haselberger die Gunst der Stunde, um den Pergamonaltar buchstäblich in ein neues Licht zu rücken. Das Forschungsinteresse seiner umfassenden Studie ist im Untertitel mit den Begriffen Schatten, Raum und Wahrnehmung benannt. Im Mittelpunkt seines wichtigen Beitrags zur Neubewertung des Hellenismus stehen die wirkungsästhetischen Wechselwirkungen zwischen dem Großen Altar von Pergamon und dem Artemistempel in Magnesia. Die Erkenntnisse aus der vergleichenden Betrachtung münden in Vorschläge für eine neukonzipierte Aufstellung im Pergamonmuseum, die die Wahrnehmungsgeschichte des Altars um ein neues Kapitel ergänzen könnte. Die beiden Schlüsselwerke der hellenistischen Epoche sind räumlich nicht nur durch die Nähe ihrer Fundorte an der Westküste Kleinasiens verbunden, sondern auch durch ihre heutigen Aufstellungsorte im Pergamonmuseum in Berlin. Zeitlich trennt die beiden Monumente vermutlich eine Generation, insofern der jüngere Pergamonaltar inzwischen um 170 v. Chr. datiert wird, während der ältere Artemistempel wohl um 200 v. Chr. entstanden ist. Dass der für den Tempel bezeugte Architekt Hermogenes auch beim Altar mitgewirkt haben könnte, fand bislang keinen Widerhall in der Forschung. Diese These kann auch von Haselberger, so viel sei vorweggenommen, nicht durch belastbare Belege erhärtet werden. Als Arbeitshypothese ermöglicht sie es ihm jedoch, auch den Pergamonaltar auf die bedeutenden schriftlichen Zeugnisse zurückzuführen, die von Hermogenes überliefert sind. Die architekturtheoretischen Überlegungen des Tempelarchitekten, der als Erfinder des Pseudodipteros gilt, waren in der Antike noch als Quellen verfügbar und wurden von Vitruv rückblickend beschrieben. Zentral für Haselbergers Fragestellung sind insbesondere zwei Begriffe – asperitas und effectus –, die im Zusammenhang mit der untersuchten Wirkungsästhetik der Säulenarchitekturen relevant sind. Vor allem den kontrastreichen Umgang mit Licht und Schatten interpretiert Haselberger als konstituierend für den Bautypus des Pseudodipteros, insofern die fehlende zweite Säulenreihe durch gezielt eingesetzte Schattenreflexionen an die Cellawand projiziert wird. Solche Effekte werden wiederum am Pergamonaltar auf kongeniale Weise weiterentwickelt und als produktive Augentäuschung für eine gesteigerte Tiefenwirkung eingesetzt.
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