{"title":"[Health promotion and prevention in medicine--empowering rather than prescribing].","authors":"Dieter Melchart","doi":"10.1159/000100934","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"In der Beratung von Gesunden und in der Behandlung von chronisch Kranken ist die Förderung ihrer Gesundheit meist das wichtigste Ordnungsund Therapieziel. Dabei steht die Verbesserung der individuellen Gesundheitskompetenz, der Lebensqualität, des persönlichen Wohlbefindens und der Genusssowie Leistungsfähigkeit des Einzelnen im Vordergrund. In den westlichen, überwiegend konservativen und sozialliberalen Gesellschaften zeigt sich ein Trend zu mehr Emanzipation und Selbstbestimmung in Gesundheitsund Krankheitsfragen: Der früher passive Konsument oder uninformierte Patient wird zunehmend zum aktiven, mitbestimmenden Partner. Forderungen nach informationeller Selbstbestimmung, Zweitmeinungen bei wichtigen medizinischen Entscheidungen und Berücksichtigung von Vorlieben für bestimmte Interventionen (z.B. Naturheilverfahren) sind immer häufiger anzutreffen. Die begrenzten finanziellen Ressourcen des Gesundheitssystems und die wachsende Einsicht, dass es nicht sinnvoll ist, einen Großteil davon in die Versorgung von Folgeschäden und Endzuständen chronischer Erkrankungen zu investieren, werden künftig dazu zwingen, stärker in die Prävention und Gesundheitsförderung zu investieren als bislang. Folglich rücken Themen wie Prophylaxe, Selbstbehandlung und Förderung von Selbstkompetenz in den Vordergrund der Reformdiskussionen. Auch die abnehmende Zahl von Erwerbstätigen, die für immer mehr Rentnerinnen und Rentner die Altersruhegelder erwirtschaften müssen, hat sich für diese Aufgabe am Arbeitsplatz gesund zu erhalten. Damit wird Gesundheitsförderung zu einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, die auf die Unterstützung der Gesundheitsmündigkeit aller Bürger abzielt. Sie soll zu einem gesundheitsfördernden Lebensstil im Alltag befähigen und als bevorzugtes Lebensweisenkonzept propagiert werden. Diese Befähigung des Gesunden und Kranken ist eine gegenwärtige und anhaltende Aufgabe, bei der einer klassischen Naturheilkunde vielfältige Bedeutung zukommt [1, 2]. Neben den gesellschaftlichen Veränderungen fördern aber auch wissenschaftliche und technologische Entwicklungen eine in Richtung Gesundheit und Selbstregulation orientierte, salutogene Medizin. Hierzu zählt die Erkenntnis, dass die Wirklichkeit von Leben (also von Gesundheit und Krankheit) aus verschiedenen wissenschaftlichen Paradigmen zu betrachten und zu analysieren ist. Eine umfassende und kontextbezogene wissenschaftliche Betrachtung des Menschen bezieht – neben dem biomedizinischen körperlichen Modell – psychische Prozesse, individuelles Verhalten und Gewohnheiten, Familie sowie Freunde als biographisches Modell mit ein. Da Personen in Gemeinschaften leben, ist auch ihre Rolle in der Gesellschaft, am Arbeitsplatz und im Gemeinwesen ein wichtiger Aspekt, der – nach Göpel [3] – als ethnographisches Modell die Verhältnisse der Menschen beschreibt. Schließlich unterscheidet Göpel noch das ökologische Modell, das den Lebensraum, die Lokalitäten des Menschen, analysiert. Eine solche pluralistische wissenschaftliche Betrachtungsweise wird auch den verschiedenen Bedingungen und Determinanten einer Gesundheitsentwicklung (Salutogenese) des menschlichen Lebens gerecht, die auf Bereiche des physiologischen Verhaltens, der individuellen Reifevorgänge, der genetischen Ausstattung und des biosozialen Raumangebotes verdichtet werden können. Noch immer meinen viele Ärzte, dass salutogenetische Aspekte im Vergleich zur Bedeutung von Operationen oder Arzneimittelverordnungen vernachlässigbar sind. Andere haben wegen schlechter Erfahrungen mit Präventionsbemühungen bei ihren Patienten bereits ausgeprägte «Perspektivensklerosen» entwickelt. Meist kann der Hausarzt allein keine effektiven, alltagsnahen Maßnahmen zur Verbesserung des Ernährungs-, Bewegungsund Entspannungsverhaltens seiner Patienten in seiner Praxis durchführen. Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention mit Naturheilkunde soll zu langfristigen Verhaltensmodifikationen führen. Diese können am besten durch erlebnispädagogische Komponenten, Selbstlernprogramme und aktive Einzelund Gruppenbetreuungen im Sinne des Selbstmanagements erlernt werden. Bei der längerfristigen Therapie chronisch Kranker gewinnt die symptombezogene und palliative Behandlung eine immer wichtigere Rolle. Die subjektive Wahrnehmung des persönlichen Gesundheitszustandes und Wohlbefindens ist ein zentraler Lebensbestandteil chronisch kranker Menschen. Lebensqualität und Wohlbefinden sind Schutzfaktoren der Gesundheit. 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Abstract
In der Beratung von Gesunden und in der Behandlung von chronisch Kranken ist die Förderung ihrer Gesundheit meist das wichtigste Ordnungsund Therapieziel. Dabei steht die Verbesserung der individuellen Gesundheitskompetenz, der Lebensqualität, des persönlichen Wohlbefindens und der Genusssowie Leistungsfähigkeit des Einzelnen im Vordergrund. In den westlichen, überwiegend konservativen und sozialliberalen Gesellschaften zeigt sich ein Trend zu mehr Emanzipation und Selbstbestimmung in Gesundheitsund Krankheitsfragen: Der früher passive Konsument oder uninformierte Patient wird zunehmend zum aktiven, mitbestimmenden Partner. Forderungen nach informationeller Selbstbestimmung, Zweitmeinungen bei wichtigen medizinischen Entscheidungen und Berücksichtigung von Vorlieben für bestimmte Interventionen (z.B. Naturheilverfahren) sind immer häufiger anzutreffen. Die begrenzten finanziellen Ressourcen des Gesundheitssystems und die wachsende Einsicht, dass es nicht sinnvoll ist, einen Großteil davon in die Versorgung von Folgeschäden und Endzuständen chronischer Erkrankungen zu investieren, werden künftig dazu zwingen, stärker in die Prävention und Gesundheitsförderung zu investieren als bislang. Folglich rücken Themen wie Prophylaxe, Selbstbehandlung und Förderung von Selbstkompetenz in den Vordergrund der Reformdiskussionen. Auch die abnehmende Zahl von Erwerbstätigen, die für immer mehr Rentnerinnen und Rentner die Altersruhegelder erwirtschaften müssen, hat sich für diese Aufgabe am Arbeitsplatz gesund zu erhalten. Damit wird Gesundheitsförderung zu einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, die auf die Unterstützung der Gesundheitsmündigkeit aller Bürger abzielt. Sie soll zu einem gesundheitsfördernden Lebensstil im Alltag befähigen und als bevorzugtes Lebensweisenkonzept propagiert werden. Diese Befähigung des Gesunden und Kranken ist eine gegenwärtige und anhaltende Aufgabe, bei der einer klassischen Naturheilkunde vielfältige Bedeutung zukommt [1, 2]. Neben den gesellschaftlichen Veränderungen fördern aber auch wissenschaftliche und technologische Entwicklungen eine in Richtung Gesundheit und Selbstregulation orientierte, salutogene Medizin. Hierzu zählt die Erkenntnis, dass die Wirklichkeit von Leben (also von Gesundheit und Krankheit) aus verschiedenen wissenschaftlichen Paradigmen zu betrachten und zu analysieren ist. Eine umfassende und kontextbezogene wissenschaftliche Betrachtung des Menschen bezieht – neben dem biomedizinischen körperlichen Modell – psychische Prozesse, individuelles Verhalten und Gewohnheiten, Familie sowie Freunde als biographisches Modell mit ein. Da Personen in Gemeinschaften leben, ist auch ihre Rolle in der Gesellschaft, am Arbeitsplatz und im Gemeinwesen ein wichtiger Aspekt, der – nach Göpel [3] – als ethnographisches Modell die Verhältnisse der Menschen beschreibt. Schließlich unterscheidet Göpel noch das ökologische Modell, das den Lebensraum, die Lokalitäten des Menschen, analysiert. Eine solche pluralistische wissenschaftliche Betrachtungsweise wird auch den verschiedenen Bedingungen und Determinanten einer Gesundheitsentwicklung (Salutogenese) des menschlichen Lebens gerecht, die auf Bereiche des physiologischen Verhaltens, der individuellen Reifevorgänge, der genetischen Ausstattung und des biosozialen Raumangebotes verdichtet werden können. Noch immer meinen viele Ärzte, dass salutogenetische Aspekte im Vergleich zur Bedeutung von Operationen oder Arzneimittelverordnungen vernachlässigbar sind. Andere haben wegen schlechter Erfahrungen mit Präventionsbemühungen bei ihren Patienten bereits ausgeprägte «Perspektivensklerosen» entwickelt. Meist kann der Hausarzt allein keine effektiven, alltagsnahen Maßnahmen zur Verbesserung des Ernährungs-, Bewegungsund Entspannungsverhaltens seiner Patienten in seiner Praxis durchführen. Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention mit Naturheilkunde soll zu langfristigen Verhaltensmodifikationen führen. Diese können am besten durch erlebnispädagogische Komponenten, Selbstlernprogramme und aktive Einzelund Gruppenbetreuungen im Sinne des Selbstmanagements erlernt werden. Bei der längerfristigen Therapie chronisch Kranker gewinnt die symptombezogene und palliative Behandlung eine immer wichtigere Rolle. Die subjektive Wahrnehmung des persönlichen Gesundheitszustandes und Wohlbefindens ist ein zentraler Lebensbestandteil chronisch kranker Menschen. Lebensqualität und Wohlbefinden sind Schutzfaktoren der Gesundheit. Hierzu zählen auch die allgemeine Abwehrund Widerstandsfähigkeit sowie die Fähigkeit zur Normalisierung und Anpassung in Stresssituationen. Chronische Erkrankungen und Risikofaktoren können durch ungünstige Verhaltensweisen negativ