Gräters Beitrag zur Volksliedforschung

H. Bausinger
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Abstract

Wer Aufgaben der Lokalgeschichte anpackt, und zumal wer durch ein Jubiläum in die Rolle des Festredners gedrängt w i r d , der gerät leicht in Versuchung, die Maßstäbe zu verrücken und so bloß-antiquarische Geschichte in monumentale zu verwandeln. Wo Unkenntnis die übrige Landkarte weiß läßt, heben sich die Entdeckertaten farbiger hervor; wo sich die weihevolle Stimmung auf den einen zu Feiernden konzentriert, lassen sich die Vorläufer, Mitstreiter und Konkurrenten leicht vergessen. In der Tat: es liegt nahe zu sagen, daß Friedrich D a v i d Gräter s c h o n 1793 zum Sammeln von Volksliedern aufgerufen habe, daß er die romantische Begeisterung für die volkstümlichen Überlieferungen vorwegnahm, daß er das Volkslied bereits zum Gegenstand wissenschaftlicher Beschäftigung gemacht hatte, als Arnim und Brentano, die späteren Herausgeber des berühmten Wunderhorns, vielleicht gerade die ersten Volkslieder singen hörten — kurz: daß es gelte, diesem Verkannten endlich den Rang eines geistesgeschichtlichen Pioniers zu sichern. Geht man mit diesem Anspruch an die allzu glatten Schemata der gängigen Geistesgeschichte heran, dann erscheint er keineswegs unberechtigt; die Volksliedsammlung und Volksliedforschung ist nun einmal kein Produkt der deutschen Romantik allein, und sie beginnt nicht erst mit dem Wunderhorn. Sie beginnt aber freilich, wie man ehrlicherweise hinzufügen muß, auch nicht mit Gräter. Schon der Name H e r d e r , den Gräter ja nirgends verschweigt, weist auf die große Vorgabe hin, die Gräter eingeräumt war; mit dem Namen Herders sind die eigentlichen Entdeckertaten auf diesem Gebiet verknüpft, und er war der mächtige Anreger, der in immer neuen Appellen die Bedeutung der Volkslieder herausstellte. Schon 1764 hatte er erstmals auf die „unbekannten anakreontischen Gesänge noch roher Völker" hingewiesen; 1 1767 forderte er, jeder solle sich nach „alten Nationalliedern" umsehen; 1771 schrieb er seine berühmte, zwei Jahre später veröffentlichte Abhandlung „Über Ossian und die Lieder alter Völker"; und 1778/1779 brachte er die beiden Teile seiner Sammlung „Volkslieder" heraus. Liest man Herders Entwürfe und Hinweise in Abhandlungen, Vorreden und Briefen in ihrer dynamischen, drängenden und im wahren Wortsinn prägnanten Sprache, dann gibt es kaum einen Zweifel daran, daß er die Fackel der Volksliedbegeisterung entzündete, und daß Gräter — so könnte man das B i l d ausmalen — diese Fackel nur übernahm, daß er den fast verglimmenden Funken bewahrte und dem neuen Jahrhundert übermittelte, in dem daraus das Feuer romantischer Sammelleidenschaft entstand. Dieses B i l d ist sicherlich nicht ganz falsch; aber es ist auch keineswegs völlig richtig. Es ist zu linear und muß ins Flächige erweitert werden; dann wird deutlich, daß auch Herder in der literarisch-folkloristischen Landschaft der Zeit nicht als
格拉特对民歌研究的贡献
那些从事地方史工作的人,尤其是那些被周年庆典推上庆典发言人的位置的人,很容易受到诱惑而改变尺度,从而将单纯的古代史转变为不朽的历史。当无知让地图上的其他地方一片白茫茫时,发现者的事迹就会更加熠熠生辉;当庄严的气氛集中在一个人身上时,前辈、战友和竞争者就很容易被遗忘。事实上,我们有理由说,弗里德里希-达维德-格拉特在1793年呼吁收集民歌,他预见到了浪漫主义对民间传统的热情,他已经把民歌作为学术研究的对象,而阿尼姆和布伦塔诺,也就是后来著名的《Wunderhorn》的出版者,也许才刚刚听到第一首民歌的传唱--简而言之:有必要最终为这位被误解的人争取到思想史先驱的地位。如果我们从传统思想史过于圆滑的图式出发,那么这种说法似乎不无道理;毕竟,民歌的收集和民歌研究并不只是德国浪漫主义的产物,也并非始于 Wunderhorn。但老实说,它也并非始于格拉特。格拉特在任何地方都没有忘记提及赫尔德的名字,这表明格拉特受到了巨大的影响;赫尔德的名字与这一领域的实际探索活动相关联,他是一个强有力的推动者,在新的呼吁中强调民歌的重要性。早在 1764 年,他就首次指出了 "原始民族不为人知的民歌";1 1767 年,他要求每个人都去寻找 "古老的民族歌曲";1771 年,他撰写了著名的论文《论奥西安和古代民族歌曲》,两年后出版;1778/1779 年,他出版了《民歌集》的两个部分。如果我们从赫尔德在论文、序言和书信中的草稿和参考文献的动态、急迫和真正意义上的简洁语言中去解读,那么毫无疑问,他点燃了民歌热情的火炬,而格拉特--就像人们所描绘的那样--只是接过了这把火炬,他保留了几乎还在燃烧的火花,并将其传递给了新世纪,在新世纪中,浪漫的收藏热情之火由此而生。这种观点当然并非完全错误,但也绝非完全正确。这种观点过于线性,必须将其扩展到二维层面;这样一来,赫尔德在当时的文学-民俗学领域也不被视为 "局外人 "的事实也就一目了然了。
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