{"title":"Vielfalt ordnen. Das föderale Europa der Habsburgermonarchie (Vormärz bis 1918) by Jana Osterkamp (review)","authors":"Andrei Corbea-Hoisie","doi":"10.1353/oas.2024.a929393","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"<span><span>In lieu of</span> an abstract, here is a brief excerpt of the content:</span>\n<p> <span>Reviewed by:</span> <ul> <li><!-- html_title --> <em>Vielfalt ordnen. Das föderale Europa der Habsburgermonarchie (Vormärz bis 1918)</em> by Jana Osterkamp <!-- /html_title --></li> <li> Andrei Corbea-Hoisie </li> </ul> Jana Osterkamp, <em>Vielfalt ordnen. Das föderale Europa der Habsburgermonarchie (Vormärz bis 1918)</em>. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2. unveränderte Auflage, 2021. 531 S. <p>Der von Jana Osterkamp gewählte Titel ihres Buches, das innerhalb von wenigen Jahren schon zwei Auflagen erreicht hat, kündigt bereits die Thesen an, die im letzten, unmissverständlich benannten kurzen Kapitel “Ausblick: das föderale Haus Europa” ausführlich formuliert und entwickelt werden. Die alte Weisheit <em>Historia magistra vitae</em> könnte als ideales Motto für ein Werk dienen, das in Bezug auf die derzeitigen Herausforderungen des noch längst nicht abgeschlossenen Prozesses der Einigung Europas vorschlägt, die <em>exempla</em> der Vergangenheit gar nicht für obsolet zu halten. Ganz im Gegenteil, wenn man bedenkt, so die Autorin, dass in dem langen 19. Jahrhundert vom Wiener Kongress bis zum Ausbruch des 1. Weltkriegs Föderationen, neben Imperien und aufkeimenden Nationalstaaten, die Formen europäischer Staatlichkeit geprägt haben. Unter jenen stelle die Habsburgermonarchie laut Jana Osterkamp vielleicht das eklatanteste Beispiel einer “gelebten Föderation” dar, denn im Laufe der wechselnden politischen Umstände seit der Vormärz-Epoche, die von dem wachsenden Bewusstsein begleitet wurden, das Überleben des vom Mittelalter geerbten staatlichen Gebildes hänge von seiner Reformierung ab, wurde diese zu einem durchaus “innovativen Ort des Nachdenkens über Föderalismus”. Ähnlich wie das heutige europäische Konstrukt, das eine “föderale Verfasstheit” aufweist, auch ohne über eine föderale Verfassung zu verfügen, erlebte das mitteleuropäische “Altösterreich” eine bewundernswerte organisatorisch-bürokratische Dynamik in dem vielfältig “kooperativen Zusammenwirken” der stufenweise aufgebauten Teile dieser “konföderativen Union, deren Ordnungsleistung oft übersehen” werde. Darum könnte das Nachdenken darüber, wie auch jenes über die zahlreichen Gründe des endgültigen Scheiterns des Modells, auch <strong>[End Page 130]</strong> die gegenwärtigen Debatten über die nächsten Schritte in der Gestaltung eines “einheitlichen” Europas produktiv befruchten. In der Folge einer über 400-seitigen historisch-juristischen Untersuchung aller Facetten jener komplexen Bauart eines Rechts, das das wirtschaftliche, soziale und politische System des Habsburgerreiches in seiner letzten Existenzphase antrieb und funktionsfähig machte, klingt Jana Osterkamps Schlussfolgerung, dass das “Haus Österreich”, wie es Ingeborg Bachmann zu nennen pflegte, als “Baukasten für Reformentwürfe” und damit als ein “wichtiges Erbe für Europa” gilt, keinesfalls plakativ!</p> <p>Als Inhaberin einer Professur für die “Verflechtungsgeschichte Deutschlands mit dem östlichen Europa” an der Universität Augsburg, befasst sich die studierte Juristin Jana Osterkamp seit langem mit Themen, die verschiedene Aspekte der europäischen Geschichte in verfassungsrechtlicher Perspektive behandeln; ihre Vertrautheit mit der böhmisch-mährischen und der tschechoslowakischen Geschichte hat sie näher an die Problematik des gesamten Zentraleuropas gebracht und damit auch ihr Interesse für die rechtsgeschichtlichen Besonderheiten des habsburgischen Staates geweckt, das in die zur Grundlage des vorliegenden Buches gewordene Habilitationsschrift (an der Universität München) mündete. Ein umfassendes Wissen über die gesamten Regelungen, Institutionen und Akteure des gesetzlichen Mechanismus in der Monarchie auf zentraler und lokaler Ebene, mit all seinen Feinheiten und Partikularismen im “inneren” und “äußeren” Vergleich (d.h. innerhalb und außerhalb Österreichs), zusammen mit einer reichen empirischen Dokumentation, die eine Vielzahl von Gegebenheiten sammelte, werden hier eingesetzt, um der legitimen Versuchung nachzugeben, die etablierten Antworten auf die immer noch brisante Frage über die Gründe des Zusammenbruchs von Habsburg erneut zu überprüfen. Gerade der im Titel des Vorhabens klar behauptete Glaube an die Aktualität der einstigen Bemühungen, verfassungsmäßig ein Zusammenleben des Vielfältigen und Heterogenen an Kulturen, Sprachen und Konfessionen inmitten Europas zu ermöglichen, fordert eine derartige Prüfung. Nicht zufällig beginnt das Buch mit gerade zwei (komplementären) Einführungen: die erste besteht aus einem Kommentar zur relativ bekannten Lithografie von August Strixner aus dem Jahr 1849, in der der junge Kaiser Franz Joseph als souveräner Lenker einer “Barke” auf stürmischen Wellen des Meeres erscheint, in der sich alle Kronländer—allegorisch verkörpert von Frauengestalten—befinden, wobei die Autorin sie mit dem ebenso berühmten Zitat Hofmannsthals von 1917 über <strong>[End Page 131]</strong> Österreich als...</p> </p>","PeriodicalId":40350,"journal":{"name":"Journal of Austrian Studies","volume":"117 1","pages":""},"PeriodicalIF":0.1000,"publicationDate":"2024-06-04","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Journal of Austrian Studies","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.1353/oas.2024.a929393","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"0","JCRName":"HUMANITIES, MULTIDISCIPLINARY","Score":null,"Total":0}
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Abstract
In lieu of an abstract, here is a brief excerpt of the content:
Reviewed by:
Vielfalt ordnen. Das föderale Europa der Habsburgermonarchie (Vormärz bis 1918) by Jana Osterkamp
Andrei Corbea-Hoisie
Jana Osterkamp, Vielfalt ordnen. Das föderale Europa der Habsburgermonarchie (Vormärz bis 1918). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2. unveränderte Auflage, 2021. 531 S.
Der von Jana Osterkamp gewählte Titel ihres Buches, das innerhalb von wenigen Jahren schon zwei Auflagen erreicht hat, kündigt bereits die Thesen an, die im letzten, unmissverständlich benannten kurzen Kapitel “Ausblick: das föderale Haus Europa” ausführlich formuliert und entwickelt werden. Die alte Weisheit Historia magistra vitae könnte als ideales Motto für ein Werk dienen, das in Bezug auf die derzeitigen Herausforderungen des noch längst nicht abgeschlossenen Prozesses der Einigung Europas vorschlägt, die exempla der Vergangenheit gar nicht für obsolet zu halten. Ganz im Gegenteil, wenn man bedenkt, so die Autorin, dass in dem langen 19. Jahrhundert vom Wiener Kongress bis zum Ausbruch des 1. Weltkriegs Föderationen, neben Imperien und aufkeimenden Nationalstaaten, die Formen europäischer Staatlichkeit geprägt haben. Unter jenen stelle die Habsburgermonarchie laut Jana Osterkamp vielleicht das eklatanteste Beispiel einer “gelebten Föderation” dar, denn im Laufe der wechselnden politischen Umstände seit der Vormärz-Epoche, die von dem wachsenden Bewusstsein begleitet wurden, das Überleben des vom Mittelalter geerbten staatlichen Gebildes hänge von seiner Reformierung ab, wurde diese zu einem durchaus “innovativen Ort des Nachdenkens über Föderalismus”. Ähnlich wie das heutige europäische Konstrukt, das eine “föderale Verfasstheit” aufweist, auch ohne über eine föderale Verfassung zu verfügen, erlebte das mitteleuropäische “Altösterreich” eine bewundernswerte organisatorisch-bürokratische Dynamik in dem vielfältig “kooperativen Zusammenwirken” der stufenweise aufgebauten Teile dieser “konföderativen Union, deren Ordnungsleistung oft übersehen” werde. Darum könnte das Nachdenken darüber, wie auch jenes über die zahlreichen Gründe des endgültigen Scheiterns des Modells, auch [End Page 130] die gegenwärtigen Debatten über die nächsten Schritte in der Gestaltung eines “einheitlichen” Europas produktiv befruchten. In der Folge einer über 400-seitigen historisch-juristischen Untersuchung aller Facetten jener komplexen Bauart eines Rechts, das das wirtschaftliche, soziale und politische System des Habsburgerreiches in seiner letzten Existenzphase antrieb und funktionsfähig machte, klingt Jana Osterkamps Schlussfolgerung, dass das “Haus Österreich”, wie es Ingeborg Bachmann zu nennen pflegte, als “Baukasten für Reformentwürfe” und damit als ein “wichtiges Erbe für Europa” gilt, keinesfalls plakativ!
Als Inhaberin einer Professur für die “Verflechtungsgeschichte Deutschlands mit dem östlichen Europa” an der Universität Augsburg, befasst sich die studierte Juristin Jana Osterkamp seit langem mit Themen, die verschiedene Aspekte der europäischen Geschichte in verfassungsrechtlicher Perspektive behandeln; ihre Vertrautheit mit der böhmisch-mährischen und der tschechoslowakischen Geschichte hat sie näher an die Problematik des gesamten Zentraleuropas gebracht und damit auch ihr Interesse für die rechtsgeschichtlichen Besonderheiten des habsburgischen Staates geweckt, das in die zur Grundlage des vorliegenden Buches gewordene Habilitationsschrift (an der Universität München) mündete. Ein umfassendes Wissen über die gesamten Regelungen, Institutionen und Akteure des gesetzlichen Mechanismus in der Monarchie auf zentraler und lokaler Ebene, mit all seinen Feinheiten und Partikularismen im “inneren” und “äußeren” Vergleich (d.h. innerhalb und außerhalb Österreichs), zusammen mit einer reichen empirischen Dokumentation, die eine Vielzahl von Gegebenheiten sammelte, werden hier eingesetzt, um der legitimen Versuchung nachzugeben, die etablierten Antworten auf die immer noch brisante Frage über die Gründe des Zusammenbruchs von Habsburg erneut zu überprüfen. Gerade der im Titel des Vorhabens klar behauptete Glaube an die Aktualität der einstigen Bemühungen, verfassungsmäßig ein Zusammenleben des Vielfältigen und Heterogenen an Kulturen, Sprachen und Konfessionen inmitten Europas zu ermöglichen, fordert eine derartige Prüfung. Nicht zufällig beginnt das Buch mit gerade zwei (komplementären) Einführungen: die erste besteht aus einem Kommentar zur relativ bekannten Lithografie von August Strixner aus dem Jahr 1849, in der der junge Kaiser Franz Joseph als souveräner Lenker einer “Barke” auf stürmischen Wellen des Meeres erscheint, in der sich alle Kronländer—allegorisch verkörpert von Frauengestalten—befinden, wobei die Autorin sie mit dem ebenso berühmten Zitat Hofmannsthals von 1917 über [End Page 131] Österreich als...
期刊介绍:
The Journal of Austrian Studies is an interdisciplinary quarterly that publishes scholarly articles and book reviews on all aspects of the history and culture of Austria, Austro-Hungary, and the Habsburg territory. It is the flagship publication of the Austrian Studies Association and contains contributions in German and English from the world''s premiere scholars in the field of Austrian studies. The journal highlights scholarly work that draws on innovative methodologies and new ways of viewing Austrian history and culture. Although the journal was renamed in 2012 to reflect the increasing scope and diversity of its scholarship, it has a long lineage dating back over a half century as Modern Austrian Literature and, prior to that, The Journal of the International Arthur Schnitzler Research Association.