{"title":"Rose Ausländers Leben im Wort by Olena Staranchuk, Oleg Gryshchenko und Oxana Matiychuk (review)","authors":"Martin A. Hainz","doi":"10.1353/oas.2024.a929397","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"<span><span>In lieu of</span> an abstract, here is a brief excerpt of the content:</span>\n<p> <span>Reviewed by:</span> <ul> <li><!-- html_title --> <em>Rose Ausländers Leben im Wort</em> by Olena Staranchuk, Oleg Gryshchenko und Oxana Matiychuk <!-- /html_title --></li> <li> Martin A. Hainz </li> </ul> Olena Staranchuk, Oleg Gryshchenko und Oxana Matiychuk, <em>Rose Ausländers Leben im Wort</em>. Graphic Novel. Übersetzt von Kati Brunner. Ulm: danube books, 2021. 56 S. <p>Das Leben Rose Ausländers ist eines im Wort, schon, ehe sie es in einem Gedicht so umschreibt. Es beginnt mit den Geschichten des Vaters und den Gedichten, die ihre Mutter ihr vorliest. Ihre Geschichte und das Lyrische trotz der dunklen Zeiten fängt der vorliegende Band ein, worin Oxana Matiychuk das Leben der Lyrikerin erzählt, die Illustrationen von Olena Staranchuk und Oleg Gryshchenko setzen alles in Szene und bieten dabei expressive Bilder in eindrücklichen Farben. Dabei wird natürlich manches ausgespart—aus Platzgründen, aber vielleicht auch, um Leser:innen manches zu ersparen.</p> <p>Denn ein Ereignis kurz vor der Geburt der Dichterin wäre beispielsweise durchaus relevant, welches die Idylle stört, mit der dramaturgisch alles beginnt: “An einem Februarnachmittag des Jahres 1901 kommt es in Czernowitz zu einem schrecklichen Unfall. Das Kindermädchen der Familie Scherzer und der von ihr betreute erste Sohn des Ehepaares, der damals 18 Monate alt ist, werden beim Verlassen des Volksgartens von einem durchgehenden Pferdegespann niedergerannt und von dem schweren Fuhrwagen überrollt”, wie man bei Helmut Braun <em>(“Ich bin fünftausend Jahre jung.” Rose Ausländer. Zu ihrer Biographie</em>. Stuttgart: Radius 1999) erführe: “Das Kindermädchen überlebt schwer verletzt; der kleine Junge stirbt noch an der Unfallstelle. Die Mutter des Jungen ist damals im sechsten Monat schwanger”. Helmut Braun nennt in der Folge Rose Ausländer das vielgeliebte “Ersatzkind”, das vielleicht auch darum ein Spannungsverhältnis zu den Eltern erlebt.</p> <p>Jedenfalls folgt der Band Rose Ausländer auf der Flucht von Czernowitz nach Wien und nach der Rückkehr und dem frühen Tod des Vaters in die USA. Die Ehe mit Ignaz Ausländer, dem Rosalie Scherzer ihren Namen—kein eigentliches Pseudonym—verdankt, wird realistisch geschildert, ebenso die große Liebe zu Helios Hecht. Außerdem wird sehr liebevoll das Milieu eingefangen: Karl Kraus, Stefan George, Else Lasker-Schüler, Constantin Brunner und, “allen voran, Rainer Maria Rilke”, wie man Rose Ausländer hier zitieren könnte. Man könnte übrigens auch Heine anführen, den sie in Czernowitz gegen Karl Kraus’ <em>Heine und die Folgen</em> verteidigte. Seine “Schlußfolgerungen überzeugten mich nicht”, schreibt sie, nachzulesen im Band <em>Die Nacht hat zahllose Augen</em>, sie “focht” für Heine trotz “aussichtslose[r] <strong>[End Page 143]</strong> Kampfposition: Hatte Heine nicht frischen Wind, einen neuen, rebellischsarkastischen Ton in die deutsche Dichtung gebracht? War sein Einfluß beispielsweise auf unseren großen jiddischen Czernowitzer Lyriker Itzig Manger nicht ein Glücksfall in der jiddischen Dichtung?”</p> <p>Es ist jedenfalls eine glückliche Zeit bis zum Bruch mit dem Geliebten. Sein Vertrauensmissbrauch, Gedichte von ihr ohne Erlaubnis nebst einer “Charakteranalyse Rose Ausländer” zu publizieren, entsetzt sie, so, “wie sie rücksichtslos und absolut liebt, so trennt sie sich nach dieser Tat rücksichtslos und absolut von ihm”, wie Helmut Braun schreibt. Es folgen die noch schlimmeren Zeiten der Besetzung der Bukowina, samt Verhaftung durch die sowjetischen Behörden, die für die Autorin aus nachvollziehbaren Gründen ebenso wie der Czernowitzer Petro Rychlo, freilich überaus verdient, viel Raum bekommt. Zuletzt wird Czernowitz nach Rumänisierung und dem Überfall Hitlers sowjetisch, die Dichterin reist 1946 zum zweiten Male in die USA, sie erfährt dort vom Tod deren Mutter und erleidet einen Zusammenbruch. Es sind die USA, wo sie auch zwanzig Jahre bleibt, nun in englischer Sprache dichtend. Reisen bringen sie aber unter anderem zurück nach Europa, auch ins antisemitische Wien, das sie enttäuscht, dann aber nach Düsseldorf—und zurück in die deutsche Sprache. Es ist das Leben aus Koffern, an denen (und deren Zahl) man sie zu dieser Zeit unschwer erkennt, wie Neffe berichtet.</p> <p>Düsseldorf wird auch die allerletzte Station: Hier lernt sie, im Altersheim lebend, Helmut Braun kennen, der sie und das Werk betreut, später auch den Nachlass, und sich um die Dichterin wie kaum sonst eine:r verdient macht. 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Abstract
In lieu of an abstract, here is a brief excerpt of the content:
Reviewed by:
Rose Ausländers Leben im Wort by Olena Staranchuk, Oleg Gryshchenko und Oxana Matiychuk
Martin A. Hainz
Olena Staranchuk, Oleg Gryshchenko und Oxana Matiychuk, Rose Ausländers Leben im Wort. Graphic Novel. Übersetzt von Kati Brunner. Ulm: danube books, 2021. 56 S.
Das Leben Rose Ausländers ist eines im Wort, schon, ehe sie es in einem Gedicht so umschreibt. Es beginnt mit den Geschichten des Vaters und den Gedichten, die ihre Mutter ihr vorliest. Ihre Geschichte und das Lyrische trotz der dunklen Zeiten fängt der vorliegende Band ein, worin Oxana Matiychuk das Leben der Lyrikerin erzählt, die Illustrationen von Olena Staranchuk und Oleg Gryshchenko setzen alles in Szene und bieten dabei expressive Bilder in eindrücklichen Farben. Dabei wird natürlich manches ausgespart—aus Platzgründen, aber vielleicht auch, um Leser:innen manches zu ersparen.
Denn ein Ereignis kurz vor der Geburt der Dichterin wäre beispielsweise durchaus relevant, welches die Idylle stört, mit der dramaturgisch alles beginnt: “An einem Februarnachmittag des Jahres 1901 kommt es in Czernowitz zu einem schrecklichen Unfall. Das Kindermädchen der Familie Scherzer und der von ihr betreute erste Sohn des Ehepaares, der damals 18 Monate alt ist, werden beim Verlassen des Volksgartens von einem durchgehenden Pferdegespann niedergerannt und von dem schweren Fuhrwagen überrollt”, wie man bei Helmut Braun (“Ich bin fünftausend Jahre jung.” Rose Ausländer. Zu ihrer Biographie. Stuttgart: Radius 1999) erführe: “Das Kindermädchen überlebt schwer verletzt; der kleine Junge stirbt noch an der Unfallstelle. Die Mutter des Jungen ist damals im sechsten Monat schwanger”. Helmut Braun nennt in der Folge Rose Ausländer das vielgeliebte “Ersatzkind”, das vielleicht auch darum ein Spannungsverhältnis zu den Eltern erlebt.
Jedenfalls folgt der Band Rose Ausländer auf der Flucht von Czernowitz nach Wien und nach der Rückkehr und dem frühen Tod des Vaters in die USA. Die Ehe mit Ignaz Ausländer, dem Rosalie Scherzer ihren Namen—kein eigentliches Pseudonym—verdankt, wird realistisch geschildert, ebenso die große Liebe zu Helios Hecht. Außerdem wird sehr liebevoll das Milieu eingefangen: Karl Kraus, Stefan George, Else Lasker-Schüler, Constantin Brunner und, “allen voran, Rainer Maria Rilke”, wie man Rose Ausländer hier zitieren könnte. Man könnte übrigens auch Heine anführen, den sie in Czernowitz gegen Karl Kraus’ Heine und die Folgen verteidigte. Seine “Schlußfolgerungen überzeugten mich nicht”, schreibt sie, nachzulesen im Band Die Nacht hat zahllose Augen, sie “focht” für Heine trotz “aussichtslose[r] [End Page 143] Kampfposition: Hatte Heine nicht frischen Wind, einen neuen, rebellischsarkastischen Ton in die deutsche Dichtung gebracht? War sein Einfluß beispielsweise auf unseren großen jiddischen Czernowitzer Lyriker Itzig Manger nicht ein Glücksfall in der jiddischen Dichtung?”
Es ist jedenfalls eine glückliche Zeit bis zum Bruch mit dem Geliebten. Sein Vertrauensmissbrauch, Gedichte von ihr ohne Erlaubnis nebst einer “Charakteranalyse Rose Ausländer” zu publizieren, entsetzt sie, so, “wie sie rücksichtslos und absolut liebt, so trennt sie sich nach dieser Tat rücksichtslos und absolut von ihm”, wie Helmut Braun schreibt. Es folgen die noch schlimmeren Zeiten der Besetzung der Bukowina, samt Verhaftung durch die sowjetischen Behörden, die für die Autorin aus nachvollziehbaren Gründen ebenso wie der Czernowitzer Petro Rychlo, freilich überaus verdient, viel Raum bekommt. Zuletzt wird Czernowitz nach Rumänisierung und dem Überfall Hitlers sowjetisch, die Dichterin reist 1946 zum zweiten Male in die USA, sie erfährt dort vom Tod deren Mutter und erleidet einen Zusammenbruch. Es sind die USA, wo sie auch zwanzig Jahre bleibt, nun in englischer Sprache dichtend. Reisen bringen sie aber unter anderem zurück nach Europa, auch ins antisemitische Wien, das sie enttäuscht, dann aber nach Düsseldorf—und zurück in die deutsche Sprache. Es ist das Leben aus Koffern, an denen (und deren Zahl) man sie zu dieser Zeit unschwer erkennt, wie Neffe berichtet.
Düsseldorf wird auch die allerletzte Station: Hier lernt sie, im Altersheim lebend, Helmut Braun kennen, der sie und das Werk betreut, später auch den Nachlass, und sich um die Dichterin wie kaum sonst eine:r verdient macht. Im Spätsommer 1975 lernen sie einander kennen, die noch immer kaum Bekannte, “sechs...
期刊介绍:
The Journal of Austrian Studies is an interdisciplinary quarterly that publishes scholarly articles and book reviews on all aspects of the history and culture of Austria, Austro-Hungary, and the Habsburg territory. It is the flagship publication of the Austrian Studies Association and contains contributions in German and English from the world''s premiere scholars in the field of Austrian studies. The journal highlights scholarly work that draws on innovative methodologies and new ways of viewing Austrian history and culture. Although the journal was renamed in 2012 to reflect the increasing scope and diversity of its scholarship, it has a long lineage dating back over a half century as Modern Austrian Literature and, prior to that, The Journal of the International Arthur Schnitzler Research Association.