{"title":"Paul Celan—\"sah daß ein Blatt fiel und wußte, daß es eine Botschaft war\": Neue Einsichten und Lektüren Hrsg. Martin A. Hainz (review)","authors":"Elke Nicolai","doi":"10.1353/oas.2024.a929396","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"<span><span>In lieu of</span> an abstract, here is a brief excerpt of the content:</span>\n<p> <span>Reviewed by:</span> <ul> <li><!-- html_title --> <em>Paul Celan—“sah daß ein Blatt fiel und wußte, daß es eine Botschaft war”: Neue Einsichten und Lektüren</em> Hrsg. Martin A. Hainz <!-- /html_title --></li> <li> Elke Nicolai </li> </ul> Martin A. Hainz, Hrsg., <em>Paul Celan—“sah daß ein Blatt fiel und wußte, daß es eine Botschaft war”: Neue Einsichten und Lektüren</em>. Berlin: Frank & Timme, 2022. 194 S. <p>Pünktlich zum 100. Geburtstag und 50. Todestages von Paul Celan veranstaltete die Private Pädagogische Hochschule Burgenland (PPH Burgenland) im Jahr 2020 eine internationale Konferenz, auf der sich die Forscher*innen Leonard M. Olschner, Andrei Corbea-Hoisie, Barbara Wiedemann, Vivian Liska, Martin A. Hainz, Leslie Morris, und Artur R. Boelderl aus ihrem je eigenen Blickwinkel der Figur Paul Celans zuwandten, um neue Einsichten in Person und Werk zu vermitteln. Die Prämisse Celans, Denken als fortschreitenden Prozess, der Gedachtes wie bisher nicht Gedachtes umfasst und für Offenheit plädiert, gilt für seine Texte, so Hainz im Vorwort, und ist auch Leitfaden der Konferenz. Das Politische, auf die Zukunft Verweisende in seiner Lyrik freizulegen ist Anspruch aller Beitragenden.</p> <p>Olschners einleitender Aufsatz wirbt für fünf Zugänge zu einem ersten Verständnis der Lyrik Celans, die er Interventionen nennt. Dazu gehören Sachwissen und genaues Quellenstudium, für das Olschner die Diskussion um den Begriff “Harnischstriemen” (geologischer Begriff) heranzieht, den Gadamer auf einer Tagung in Heidelberg als Neologismus bezeichnet hat. Die zweite Intervention beinhaltet das eingewobene Zitat und wird verdeutlicht an der Redewendung “Was auf der Lunge, das auf der Zunge”, die Celan <strong>[End Page 140]</strong> in seinen Notizen zur Büchner-Preis-Rede “Der Meridian” seiner Mutter zuschreibt, diesen Hinweis aber in der aktuellen Rede weglässt, weil—so Olscher—es Celan auf den “Atem als Ursprung der Poesie” ankommt. Der Biographie wird weniger Einfluss zugestanden, dem Entwurf als vierter Intervention des (noch) nicht Eingelösten kommt ein Stellenwert zu, ebenso der Übertragbarkeit von Texten aus anderen Sprachen als fünfter Intervention, mit der Absicht Metaphorisches einzuschließen. Der informierte, klar strukturierte und gut lesbare Beitrag liefert Hintergrundwissen, das bei der Lektüre der nachfolgenden Aufsätze gute Dienste erweist.</p> <p>Der Beitrag von Andrei Corbea-Hoisie befasst sich mit der Genese des Gedichtes “Coagula”, indem Manuskripte zwischen 1962 und 1967 durchforstet werden, Lektüre Celans auf Randbemerkungen hin untersucht wird und sich aus dem Fundus Referenzen zu Celans Bukowiner Erfahrungshorizont ergeben, aus dem das Gedicht “Coagula” schöpft. Dabei wird ganz nebenbei auch die Identität des jüdischen Abiturienten David Falik enthüllt, der den Antisemitismus im Gymnasium anprangerte und ermordet wurde. Über die Motive der “Wunde” und der “rumänischen Büffel” werden Verbindungslinien zwischen der im Gedicht angesprochenen “Rosa” und dem vergewaltigten Stubenmädchen gleichen Namens (Kafka “Der Landarzt”) sowie Rosa Luxemburg gezogen, deren Briefe aus dem Gefängnis Celan wohl schon in Czernowitz zum ersten Mal begegnet sein könnte. Dort hat Rosa Luxemburg die durch ihr Gefängnisfenster mit Empathie gemachte Beobachtung festgehalten, wie Freikorpssoldaten Büffel aus Rumänien malträtierten. Dieser Beitrag bildet durch minutiöses Quellenstudium die Grundlage für eine plausible Lesart des Gedichtes.</p> <p>Barbara Wiedemann wirft in ihrem Beitrag einen Blick auf Claire Golls Plagiatvorwürfe gegen Celan, indem sie faktenreich und präzise die diver-sen Phasen des Täuschungsmanövers rekonstruiert, das die Literaturwissenschaft in den 60er Jahren (noch) nicht in Frage gestellt hat und sieht darin zurecht einen politischen Akt.</p> <p>Vivian Liska geht in ihrem kenntnisreichen, sich durch textnahe Interpretationsarbeit und Quellenstudium auszeichnenden Beitrag der Frage nach, wie Celans “haderndes Judentum” in seiner Lyrik eingeschrieben ist. Dabei stellt sie das Gedicht “Vor einer Kerze” erneut ins Zentrum ihrer Betrachtungen. Den Ursprung für Celans Hadern macht sie aus in dem, was geschah (als Verweis auf die erst später geprägten Termini Shoah/Holocaust). Diesen möglichen Hinweis entdeckt sie in den Anfangsbuchstaben von <strong>[End Page 141]</strong> “Hand”, “je und je” und “Herz” in den letzten Zeilen, die sie als “eine unvollständige, gestörte Kombination des Tetragramms JHWH, des göttlichen Namens”, liest, wobei “HJJH (Hajah) [. . .] im Hebräischen ‘Es war’” heißt. 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Abstract
In lieu of an abstract, here is a brief excerpt of the content:
Reviewed by:
Paul Celan—“sah daß ein Blatt fiel und wußte, daß es eine Botschaft war”: Neue Einsichten und Lektüren Hrsg. Martin A. Hainz
Elke Nicolai
Martin A. Hainz, Hrsg., Paul Celan—“sah daß ein Blatt fiel und wußte, daß es eine Botschaft war”: Neue Einsichten und Lektüren. Berlin: Frank & Timme, 2022. 194 S.
Pünktlich zum 100. Geburtstag und 50. Todestages von Paul Celan veranstaltete die Private Pädagogische Hochschule Burgenland (PPH Burgenland) im Jahr 2020 eine internationale Konferenz, auf der sich die Forscher*innen Leonard M. Olschner, Andrei Corbea-Hoisie, Barbara Wiedemann, Vivian Liska, Martin A. Hainz, Leslie Morris, und Artur R. Boelderl aus ihrem je eigenen Blickwinkel der Figur Paul Celans zuwandten, um neue Einsichten in Person und Werk zu vermitteln. Die Prämisse Celans, Denken als fortschreitenden Prozess, der Gedachtes wie bisher nicht Gedachtes umfasst und für Offenheit plädiert, gilt für seine Texte, so Hainz im Vorwort, und ist auch Leitfaden der Konferenz. Das Politische, auf die Zukunft Verweisende in seiner Lyrik freizulegen ist Anspruch aller Beitragenden.
Olschners einleitender Aufsatz wirbt für fünf Zugänge zu einem ersten Verständnis der Lyrik Celans, die er Interventionen nennt. Dazu gehören Sachwissen und genaues Quellenstudium, für das Olschner die Diskussion um den Begriff “Harnischstriemen” (geologischer Begriff) heranzieht, den Gadamer auf einer Tagung in Heidelberg als Neologismus bezeichnet hat. Die zweite Intervention beinhaltet das eingewobene Zitat und wird verdeutlicht an der Redewendung “Was auf der Lunge, das auf der Zunge”, die Celan [End Page 140] in seinen Notizen zur Büchner-Preis-Rede “Der Meridian” seiner Mutter zuschreibt, diesen Hinweis aber in der aktuellen Rede weglässt, weil—so Olscher—es Celan auf den “Atem als Ursprung der Poesie” ankommt. Der Biographie wird weniger Einfluss zugestanden, dem Entwurf als vierter Intervention des (noch) nicht Eingelösten kommt ein Stellenwert zu, ebenso der Übertragbarkeit von Texten aus anderen Sprachen als fünfter Intervention, mit der Absicht Metaphorisches einzuschließen. Der informierte, klar strukturierte und gut lesbare Beitrag liefert Hintergrundwissen, das bei der Lektüre der nachfolgenden Aufsätze gute Dienste erweist.
Der Beitrag von Andrei Corbea-Hoisie befasst sich mit der Genese des Gedichtes “Coagula”, indem Manuskripte zwischen 1962 und 1967 durchforstet werden, Lektüre Celans auf Randbemerkungen hin untersucht wird und sich aus dem Fundus Referenzen zu Celans Bukowiner Erfahrungshorizont ergeben, aus dem das Gedicht “Coagula” schöpft. Dabei wird ganz nebenbei auch die Identität des jüdischen Abiturienten David Falik enthüllt, der den Antisemitismus im Gymnasium anprangerte und ermordet wurde. Über die Motive der “Wunde” und der “rumänischen Büffel” werden Verbindungslinien zwischen der im Gedicht angesprochenen “Rosa” und dem vergewaltigten Stubenmädchen gleichen Namens (Kafka “Der Landarzt”) sowie Rosa Luxemburg gezogen, deren Briefe aus dem Gefängnis Celan wohl schon in Czernowitz zum ersten Mal begegnet sein könnte. Dort hat Rosa Luxemburg die durch ihr Gefängnisfenster mit Empathie gemachte Beobachtung festgehalten, wie Freikorpssoldaten Büffel aus Rumänien malträtierten. Dieser Beitrag bildet durch minutiöses Quellenstudium die Grundlage für eine plausible Lesart des Gedichtes.
Barbara Wiedemann wirft in ihrem Beitrag einen Blick auf Claire Golls Plagiatvorwürfe gegen Celan, indem sie faktenreich und präzise die diver-sen Phasen des Täuschungsmanövers rekonstruiert, das die Literaturwissenschaft in den 60er Jahren (noch) nicht in Frage gestellt hat und sieht darin zurecht einen politischen Akt.
Vivian Liska geht in ihrem kenntnisreichen, sich durch textnahe Interpretationsarbeit und Quellenstudium auszeichnenden Beitrag der Frage nach, wie Celans “haderndes Judentum” in seiner Lyrik eingeschrieben ist. Dabei stellt sie das Gedicht “Vor einer Kerze” erneut ins Zentrum ihrer Betrachtungen. Den Ursprung für Celans Hadern macht sie aus in dem, was geschah (als Verweis auf die erst später geprägten Termini Shoah/Holocaust). Diesen möglichen Hinweis entdeckt sie in den Anfangsbuchstaben von [End Page 141] “Hand”, “je und je” und “Herz” in den letzten Zeilen, die sie als “eine unvollständige, gestörte Kombination des Tetragramms JHWH, des göttlichen Namens”, liest, wobei “HJJH (Hajah) [. . .] im Hebräischen ‘Es war’” heißt. (110).
Die nachfolgenden Beiträge orientieren sich eher sprachphilosophisch und stellen auch Bezüge zwischen dem Werk Celans und anderen Autoren...
以下是内容的简要摘录,以代替摘要:评论者:保罗-塞兰--"看到树叶飘落,知道那是一条信息":《新的见解和阅读》,马丁-A: 保罗-策兰--"看到一片树叶飘落,知道那是一个信息":新的见解和读本,马丁-A.Hainz Elke Nicolai Martin A.Hainz, ed., Paul Celan-"sah dass ein Blatt fiel und wußte, dass es eine Botschaft war": Neue Einsichten und Lektüren.柏林:Frank & Timme,2022 年。194 页。为纪念保罗-策兰诞辰 100 周年和逝世 50 周年,布尔根兰州私立师范大学(PPH Burgenland)于 2020 年举办了一次国际会议,研究人员 Leonard M. Olschner、Andrei Corbea-Hoisie、Barbara Wiedemann、Vivian Liska、Martin A.海因茨、莱斯利-莫里斯和阿图尔-R-博尔德尔分别从各自的角度探讨了保罗-策兰这一人物,以期对其个人和作品提出新的见解。正如海因茨在前言中解释的那样,策兰认为思考是一个渐进的过程,既包括思想,也包括以前未曾思考过的东西,并恳求开放,这一前提适用于他的文本,也是本次会议的指导原则。在他的诗歌中发掘政治性和面向未来的东西是所有投稿人的目标。奥尔斯纳在序言中提出了五种初步理解策兰诗歌的方法,他称之为 "干预"。其中包括事实知识和对资料来源的精确研究,为此,奥尔施纳借鉴了关于 "Harnischstriemen"(地质术语)一词的讨论,伽达默尔在海德堡的一次会议上将其描述为一个新名词。第二次发言包含了交织在一起的引文,并以 "Was auf der Lunge, das auf der Zunge "这句话为例作了说明,塞兰 [尾页 140]在其关于毕希纳奖演讲稿《子午线》的笔记中将这句话归功于他的母亲,但在实际演讲稿中却省略了这一引文,因为根据奥尔斯纳的说法,塞兰的 "作为诗歌起源的呼吸 "才是重要的。传记的影响较小,作为第四项干预的未实现(尚未实现)的草案受到重视,作为第五项干预的其他语言文本的可转移性也受到重视,其意图是纳入隐喻。这篇资料翔实、结构清晰、可读性强的文章提供了背景知识,对阅读后续文章很有帮助。安德烈-科尔贝亚-霍伊希(Andrei Corbea-Hoisie)的文章通过分析 1962 年至 1967 年间的手稿,研究塞兰的阅读旁注,并参考塞兰的布科维尼经验视野(《Coagula》这首诗就是从布科维尼经验视野中汲取的),论述了《Coagula》这首诗的起源。在这一过程中,在文法学校谴责反犹太主义并被谋杀的犹太学生大卫-法利克的身份也被顺带揭示出来。伤痕 "和 "罗马尼亚水牛 "的主题被用来将诗中提到的 "罗莎 "与被强奸的同名客厅女仆(卡夫卡《乡村医生》)以及罗莎-卢森堡联系起来,塞兰可能是在切尔诺维茨第一次见到罗莎-卢森堡的狱中书信。在那里,罗莎-卢森堡透过监狱的窗户,以感同身受的方式记录了自由军团士兵如何虐待来自罗马尼亚的水牛。通过对资料的细致研究,这篇文章为解读这首诗奠定了基础。芭芭拉-维德曼(Barbara Wiedemann)在她的文章中,通过重构 20 世纪 60 年代文学研究尚未质疑的这一欺骗手法的各个阶段,对克莱尔-戈尔(Claire Goll)指控策兰剽窃一说进行了分析,并正确地将其视为一种政治行为。薇薇安-利斯卡(Vivian Liska)以文本解读和资料研究为特色,探讨了塞兰的 "haderndes Judentum "是如何铭刻在其诗歌中的。在此过程中,她再次将《烛光之前》这首诗置于她思考的中心。她认为塞兰的 "Hadern "起源于所发生的事情(指后来创造的 "浩劫"/"大屠杀")。她从最后几行中的 "Hand"、"je und je "和 "Herz "的首字母中发现了这一可能的参照,并将其解读为 "神名 YHWH 的不完整、混乱的组合",即 "HJJH(Hajah)[......]在希伯来语中的意思是'它是'"(110)。(110).以下文章更倾向于语言哲学,同时也参考了策兰的作品和其他作家的作品...
期刊介绍:
The Journal of Austrian Studies is an interdisciplinary quarterly that publishes scholarly articles and book reviews on all aspects of the history and culture of Austria, Austro-Hungary, and the Habsburg territory. It is the flagship publication of the Austrian Studies Association and contains contributions in German and English from the world''s premiere scholars in the field of Austrian studies. The journal highlights scholarly work that draws on innovative methodologies and new ways of viewing Austrian history and culture. Although the journal was renamed in 2012 to reflect the increasing scope and diversity of its scholarship, it has a long lineage dating back over a half century as Modern Austrian Literature and, prior to that, The Journal of the International Arthur Schnitzler Research Association.