{"title":"DOPPELTE BRECHUNGEN: DAS ‘DURCHS-FERNGLAS-SCHAUEN’ IN STIFTERS FRÜHEN ERZÄHLUNGEN","authors":"Holger Schwenke","doi":"10.1111/glal.12405","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"<p>Der Aufsatz geht der Frage nach, inwieweit sich in der Verwendung des optischen Mediums Fernrohr im <i>Condor</i> und im <i>Hochwald</i> die Erfahrung eines paradigmatisch neuen Sehens widerspiegelt. Mit Rekurs auf eine Bemerkung Rilkes (‘Das-Durchs-Fernglas-Schauen’), in der dieser seine eigene Wendung zur poetologischen Neubestimmung des ‘Sachlichen Sagens’ erkennt, wird untersucht, welche Auswirkungen die Abkehr vom Modell des referentiell verengten denotativen Sehens zu einer Wahrnehmungsform der De-Differentiation auf die Neuordnung der narrativen Logik in den beiden Erzählungen hat. Die refraktorische Kraft des ‘Durchs-Fernglas-Schauens’ macht sich im <i>Condor</i> erzählerisch bemerkbar in einer kaleidoskopartigen Aufspaltung der Erzählperspektive. Die Darstellung der Ballonfahrt am Beginn der Erzählung erwirkt die tragische Evidenz des Verlustes der Geliebten durch eine wechselseitige Überkreuzung von technisch vermittelten Blicken. Ein emanzipatorischer Aspekt kommt darin zum Ausdruck, dass es die Frauenfigur ist, die als einzige der ‘transzendentalen Obdachlosigkeit’ des modernen Menschen gewahr wird. Die aus der technischen Distanz wahrgenommene Katastrophe im <i>Hochwald</i> eröffnet die Frage nach den grundsätzlichen Möglichkeiten erzählerischer Repräsentation. Stifters hier gestaltete Seherfahrung macht sich narratologisch als ein dynamischer Prozess der Restrukturierung des Erzählens selbst bemerkbar und nimmt damit Momente nicht-repräsentativer Strategien der literarischen Moderne des 20. Jahrhunderts vorweg.</p>","PeriodicalId":54012,"journal":{"name":"GERMAN LIFE AND LETTERS","volume":null,"pages":null},"PeriodicalIF":0.2000,"publicationDate":"2024-04-11","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"GERMAN LIFE AND LETTERS","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/glal.12405","RegionNum":3,"RegionCategory":"文学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"0","JCRName":"LITERATURE, GERMAN, DUTCH, SCANDINAVIAN","Score":null,"Total":0}
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Abstract
Der Aufsatz geht der Frage nach, inwieweit sich in der Verwendung des optischen Mediums Fernrohr im Condor und im Hochwald die Erfahrung eines paradigmatisch neuen Sehens widerspiegelt. Mit Rekurs auf eine Bemerkung Rilkes (‘Das-Durchs-Fernglas-Schauen’), in der dieser seine eigene Wendung zur poetologischen Neubestimmung des ‘Sachlichen Sagens’ erkennt, wird untersucht, welche Auswirkungen die Abkehr vom Modell des referentiell verengten denotativen Sehens zu einer Wahrnehmungsform der De-Differentiation auf die Neuordnung der narrativen Logik in den beiden Erzählungen hat. Die refraktorische Kraft des ‘Durchs-Fernglas-Schauens’ macht sich im Condor erzählerisch bemerkbar in einer kaleidoskopartigen Aufspaltung der Erzählperspektive. Die Darstellung der Ballonfahrt am Beginn der Erzählung erwirkt die tragische Evidenz des Verlustes der Geliebten durch eine wechselseitige Überkreuzung von technisch vermittelten Blicken. Ein emanzipatorischer Aspekt kommt darin zum Ausdruck, dass es die Frauenfigur ist, die als einzige der ‘transzendentalen Obdachlosigkeit’ des modernen Menschen gewahr wird. Die aus der technischen Distanz wahrgenommene Katastrophe im Hochwald eröffnet die Frage nach den grundsätzlichen Möglichkeiten erzählerischer Repräsentation. Stifters hier gestaltete Seherfahrung macht sich narratologisch als ein dynamischer Prozess der Restrukturierung des Erzählens selbst bemerkbar und nimmt damit Momente nicht-repräsentativer Strategien der literarischen Moderne des 20. Jahrhunderts vorweg.
期刊介绍:
- German Life and Letters was founded in 1936 by the distinguished British Germanist L.A. Willoughby and the publisher Basil Blackwell. In its first number the journal described its aim as "engagement with German culture in its widest aspects: its history, literature, religion, music, art; with German life in general". German LIfe and Letters has continued over the decades to observe its founding principles of providing an international and interdisciplinary forum for scholarly analysis of German culture past and present. The journal appears four times a year, and a typical number contains around eight articles of between six and eight thousand words each.