Hermann Broch und die österreichische Moderne. Literatur, Kunst und Wissenschaftsphilosophie Hrsg., Paul Michael Lützeler und Thomas Borgard (review)

IF 0.1 0 HUMANITIES, MULTIDISCIPLINARY
Martin A. Hainz
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Vielleicht auch darum bringt Österreich diese Moderne hervor: Die Mobilität—und dann noch die “Mobilität der Erde” (7)—ist ein wesentliches Motiv dessen, was hier nicht immer gedieh und gedeiht. Gegen den bloßen Zerfall des Überkommenen zu <strong>[End Page 125]</strong> Schlimmerem stellt er eine “Systemtheorie” (7), deren Kontexte und Inspirationen oder Voraussetzungen wie auch Hemmnisse der vorliegende Band beleuchtet, den Paul Michael Lützeler und Thomas Bogard basierend auf einem Wiener Symposion nun vorlegen.</p> <p>Es geht um eine Umwälzung, revolutionär, aber auch diese beobachtend. Broch schreibt modern und von der nicht nur “ästhetischen Revolution”, etwa in Gestalt der “Durchbrechung und Überholung der Poetik-Konvention” (11) gegeben, die er an unter anderem James Joyce wahrnimmt. Lützeler beschreibt eben dies in seinem wunderbaren Beitrag, der die Paradoxie der Irritation einfängt—auch Broch mag “langsam das Organ für das Neue verliere(n)” (15), wenn er auf Canetti mit “skeptischer Anerkennung” (15) reagiert; und diese (darum: Selbst-)Beobachtung ist eine, die Lützeler aus der Korrespondenz Brochs wörtlich <em>zitiert</em>.</p> <p>Barbara Mahlmann-Bauer beschreibt die Entdeckung der Dissonanz an Broch und Schönberg. Dieser Kontakt impliziert schon die Erweiterung zu Alban Berg, aber auch Karl Kraus, dessen “Eloquenz” (30) die Leserschaft die Relevanz des Ausdrucks für das zu Sagende entdecken lasse—Gegenmodell zum niemals so scharfen Kitsch, den diese “Konzessionslosigkeit” (31) nicht auszeichnen kann. Hieraus ergibt sich die ethische und ästhetische Allianz, rund um die <em>Schlafwandler</em> Brochs dargelegt: “Die Musik ist Sprache” (41), wie Anton Webern hierzu schließlich zitiert wird.</p> <p>Broch und Hofmannsthal porträtiert Mathias Mayer. Auch hier ist es der Zerfall, teils aufgrund der Analyse nicht nur sichtbar, sondern eingeleitet, der ein klareres Denken ermöglicht und zugleich als notwendig darlegt. Angesichts der zugleich großen Differenzen ist es eine Nähe “wider Willen”, “Broch muss [. . .] mehr Gefallen gefunden haben an vielen Texten dieses von ihm gleichwohl aus großem Abstand gesehenen Autors” (54), als ihm lieb gewesen sein mag. Die Lektüren Brochs sind intensiv, aber nicht überall belegt, insbesondere den <em>Schwierigen</em> betreffend, wo sonst die “Ethik-Konzeptionen in Verbindung zu bringen” (55) wären.</p> <p>Das Zwiegespräch innerhalb des Textes wird bei Sebastian Kirsch geschildert: <em>Die Schuldlosen</em> bilden ein Chor, der das Dämonische in eben jener Auseinandersetzung registriert. Zuletzt entsteht so eine Konstellation, mit der Hannah Arendts Eichmanns-Essay assoziiert wird, nicht grundlos ist sie begeistert von Zerline und den Marionetten der deformierten Schlauheit derselben. Auch Naser Šečerović analysiert diese Analysen und dann Kritiken Brochs zur politischen Antimoderne, die “rational-irrationale Polyphonie” <strong>[End Page 126]</strong> (95) ist das, was scheitert, aber auch das, woran die Antimoderne noch immer weiter scheitert, die sich statt der Analyse der “Pseudoekstase” (109) verschreibt.</p> <p>Auf die Friedensforschung bezieht Werner Wintersteiner sich, Brochs weltbürgerliche Existenz und Programmatik steht für ihn in einer Traditionslinie “von Sigmund Freud [. . .] bis Günther Anders oder Robert Jungk”, die allesamt in und trotz Österreich—angesichts der “Verstrickungen” des Landes—“ihr paszifistisches und gesellschaftskritisches Wirken entfalteten (128).”</p> <p>Vom Ästhetischen ins Epistemologische wechselt der Band in den Beiträgen der zweiten Hälfte. Die Mengenlehre untersucht Borgard, dabei auch eine “Kluft” feststellend: zwischen “literarisch-ästhetischer und wissenschaftlich-technischer Kultur” (147). Eben jene Kluft überwinden die mit Hans Vaihingers Als Ob formulierten Ironien, die Alice Stašková vorlegt, wie gewohnt luzide sind ihre Überlegungen, die Vaihinger—allerdings ein Phänomen der “Resonanz” (192) Kants, auch die Rezeption von dessen <em>Philosophie des Als Ob</em> samt Volksausgabe betreffend—und Broch zueinander in Beziehung setzen. Die “Metafiktion” (194) gestatte einen optimistischen Realismus, den Broch freilich “zunehmend kritisch” (197) sieht, so Stašková: “Systematik” sei das eben gerade nicht, was Vaihinger gestattet, was sich aber seine Anhängerschaft gestatten will.</p> <p>Anders ist es mit Rudolf Carnap, zu dessen Vorlesungen Mitschriften Brochs existieren; Matthias Neuber bietet dazu einen Bericht aus dem Archiv, mit Schl...</p> </p>","PeriodicalId":40350,"journal":{"name":"Journal of Austrian Studies","volume":"40 1","pages":""},"PeriodicalIF":0.1000,"publicationDate":"2024-03-08","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Journal of Austrian Studies","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.1353/oas.2024.a921911","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"0","JCRName":"HUMANITIES, MULTIDISCIPLINARY","Score":null,"Total":0}
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Abstract

In lieu of an abstract, here is a brief excerpt of the content:

Reviewed by:

  • Hermann Broch und die österreichische Moderne. Literatur, Kunst und Wissenschaftsphilosophie Hrsg., Paul Michael Lützeler und Thomas Borgard
  • Martin A. Hainz
Paul Michael Lützeler und Thomas Borgard, Hrsg., Hermann Broch und die österreichische Moderne. Literatur, Kunst und Wissenschaftsphilosophie. Paderborn: Brill Fink, 2023. 282 S.

Hermann Broch ist ein paradigmatischer Moderner in einem zuweilen geradezu paradigmatisch unmodernen Land gewesen. Vielleicht auch darum bringt Österreich diese Moderne hervor: Die Mobilität—und dann noch die “Mobilität der Erde” (7)—ist ein wesentliches Motiv dessen, was hier nicht immer gedieh und gedeiht. Gegen den bloßen Zerfall des Überkommenen zu [End Page 125] Schlimmerem stellt er eine “Systemtheorie” (7), deren Kontexte und Inspirationen oder Voraussetzungen wie auch Hemmnisse der vorliegende Band beleuchtet, den Paul Michael Lützeler und Thomas Bogard basierend auf einem Wiener Symposion nun vorlegen.

Es geht um eine Umwälzung, revolutionär, aber auch diese beobachtend. Broch schreibt modern und von der nicht nur “ästhetischen Revolution”, etwa in Gestalt der “Durchbrechung und Überholung der Poetik-Konvention” (11) gegeben, die er an unter anderem James Joyce wahrnimmt. Lützeler beschreibt eben dies in seinem wunderbaren Beitrag, der die Paradoxie der Irritation einfängt—auch Broch mag “langsam das Organ für das Neue verliere(n)” (15), wenn er auf Canetti mit “skeptischer Anerkennung” (15) reagiert; und diese (darum: Selbst-)Beobachtung ist eine, die Lützeler aus der Korrespondenz Brochs wörtlich zitiert.

Barbara Mahlmann-Bauer beschreibt die Entdeckung der Dissonanz an Broch und Schönberg. Dieser Kontakt impliziert schon die Erweiterung zu Alban Berg, aber auch Karl Kraus, dessen “Eloquenz” (30) die Leserschaft die Relevanz des Ausdrucks für das zu Sagende entdecken lasse—Gegenmodell zum niemals so scharfen Kitsch, den diese “Konzessionslosigkeit” (31) nicht auszeichnen kann. Hieraus ergibt sich die ethische und ästhetische Allianz, rund um die Schlafwandler Brochs dargelegt: “Die Musik ist Sprache” (41), wie Anton Webern hierzu schließlich zitiert wird.

Broch und Hofmannsthal porträtiert Mathias Mayer. Auch hier ist es der Zerfall, teils aufgrund der Analyse nicht nur sichtbar, sondern eingeleitet, der ein klareres Denken ermöglicht und zugleich als notwendig darlegt. Angesichts der zugleich großen Differenzen ist es eine Nähe “wider Willen”, “Broch muss [. . .] mehr Gefallen gefunden haben an vielen Texten dieses von ihm gleichwohl aus großem Abstand gesehenen Autors” (54), als ihm lieb gewesen sein mag. Die Lektüren Brochs sind intensiv, aber nicht überall belegt, insbesondere den Schwierigen betreffend, wo sonst die “Ethik-Konzeptionen in Verbindung zu bringen” (55) wären.

Das Zwiegespräch innerhalb des Textes wird bei Sebastian Kirsch geschildert: Die Schuldlosen bilden ein Chor, der das Dämonische in eben jener Auseinandersetzung registriert. Zuletzt entsteht so eine Konstellation, mit der Hannah Arendts Eichmanns-Essay assoziiert wird, nicht grundlos ist sie begeistert von Zerline und den Marionetten der deformierten Schlauheit derselben. Auch Naser Šečerović analysiert diese Analysen und dann Kritiken Brochs zur politischen Antimoderne, die “rational-irrationale Polyphonie” [End Page 126] (95) ist das, was scheitert, aber auch das, woran die Antimoderne noch immer weiter scheitert, die sich statt der Analyse der “Pseudoekstase” (109) verschreibt.

Auf die Friedensforschung bezieht Werner Wintersteiner sich, Brochs weltbürgerliche Existenz und Programmatik steht für ihn in einer Traditionslinie “von Sigmund Freud [. . .] bis Günther Anders oder Robert Jungk”, die allesamt in und trotz Österreich—angesichts der “Verstrickungen” des Landes—“ihr paszifistisches und gesellschaftskritisches Wirken entfalteten (128).”

Vom Ästhetischen ins Epistemologische wechselt der Band in den Beiträgen der zweiten Hälfte. Die Mengenlehre untersucht Borgard, dabei auch eine “Kluft” feststellend: zwischen “literarisch-ästhetischer und wissenschaftlich-technischer Kultur” (147). Eben jene Kluft überwinden die mit Hans Vaihingers Als Ob formulierten Ironien, die Alice Stašková vorlegt, wie gewohnt luzide sind ihre Überlegungen, die Vaihinger—allerdings ein Phänomen der “Resonanz” (192) Kants, auch die Rezeption von dessen Philosophie des Als Ob samt Volksausgabe betreffend—und Broch zueinander in Beziehung setzen. Die “Metafiktion” (194) gestatte einen optimistischen Realismus, den Broch freilich “zunehmend kritisch” (197) sieht, so Stašková: “Systematik” sei das eben gerade nicht, was Vaihinger gestattet, was sich aber seine Anhängerschaft gestatten will.

Anders ist es mit Rudolf Carnap, zu dessen Vorlesungen Mitschriften Brochs existieren; Matthias Neuber bietet dazu einen Bericht aus dem Archiv, mit Schl...

赫尔曼-布洛赫与奥地利现代主义。文学、艺术和科学哲学》,保罗-迈克尔-吕策勒和托马斯-博加德编(评论)
以下是内容的简要摘录,以代替摘要:《赫尔曼-布洛赫与奥地利现代主义》(Hermann Broch and Austrian Modernism): Hermann Broch and Austrian Modernism.文学、艺术和科学哲学》,保罗-迈克尔-吕策勒和托马斯-博加德编 马丁-A.Hainz Paul Michael Lützeler and Thomas Borgard, eds, Hermann Broch und die österreichische Moderne.文学、艺术与科学哲学》。282 pp.赫尔曼-布洛赫是一个典型的现代主义者,而这个国家有时几乎是典型的不合时宜。也许这就是奥地利产生这种现代性的原因:流动性--然后是 "大地的流动性"(7)--是这里并不总是繁荣昌盛的事物的基本主题。保罗-迈克尔-吕策勒和托马斯-博加德在维也纳研讨会的基础上出版了这本《系统理论》,他提出了一种 "系统理论"(7) ,阐明了其背景、灵感或先决条件以及障碍。这本书讲述的是一场革命性的动荡,同时也是对这场动荡的观察。布罗赫以现代的方式写道,"美学革命 "不仅仅是 "美学革命",例如他在詹姆斯-乔伊斯等人身上看到的 "对诗歌传统的突破和彻底改革"(11)。Lützeler 在他的精彩撰文中恰恰描述了这一点,他捕捉到了恼怒的悖论--当布洛赫以 "怀疑的认可"(15)对卡内蒂做出反应时,他可能也在 "慢慢失去新的器官"(15);Lützeler 从布洛赫的书信中逐字引述了这一观察(因此:自我观察)。Barbara Mahlmann-Bauer 描述了在布罗赫和勋伯格身上发现的不和谐。这种接触已经意味着延伸到阿尔班-伯格以及卡尔-克劳斯(Karl Kraus),后者的 "雄辩"(30) 让读者发现了表达与所要表达的内容的相关性--这是对从未如此尖锐的媚俗的一种反拨,而媚俗的特点并不在于 "缺乏让步"(31)。这就产生了围绕布洛赫梦游者的伦理和美学联盟:"音乐即语言"(41),正如安东-韦伯恩最后被引用的那句话。马蒂亚斯-迈尔描绘了布洛赫和霍夫曼斯塔尔。在这里,同样是解体,在一定程度上不仅是可见的,而且是由分析引发的,这种解体使思维更加清晰,同时也将其视为必要。考虑到巨大的差异,这是一种 "违背其意愿 "的亲近,"布罗赫一定[......]在这位作者的许多文本中发现了比他所希望的更多的青睐,但他还是从很远的距离看到了他"(54)。布罗赫的阅读很深入,但并非处处有据可查,尤其是在《困难者》一书中,否则 "就必须将伦理概念联系起来"(55)。塞巴斯蒂安-基尔希描述了文本中的对话:无罪的人组成了一个合唱团,在这种对峙中记录了恶魔。最终,这形成了一个与汉娜-阿伦特的《艾希曼》一文相关联的星座;她对泽琳和她畸形狡诈的傀儡们的热情并非毫无道理。纳赛尔-谢切罗维奇(Naser Šečerović)也分析了这些分析,然后批判了布罗赫的政治性反现代主义;"理性-非理性复调"[尾页 126] (95)是失败的原因,也是反现代主义继续失败的原因,反现代主义不是分析,而是致力于 "伪狂喜"(109)。维尔纳-温特施泰纳(Werner Wintersteiner)提到了和平研究,布洛赫的世界性存在和计划使他与 "从西格蒙德-弗洛伊德(Sigmund Freud)[......]到京特-安德斯(Günther Anders)或罗伯特-容克(Robert Jungk)"的传统一脉相承,他们都 "在奥地利或尽管在奥地利--鉴于该国的'纠葛'(128)--展开了他们的和平主义和社会批判工作"。在下半部分的文章中,本卷从美学转向了认识论。博加德研究了集合论,同时指出了 "文学-美学文化与科学-技术文化 "之间的 "鸿沟"(147)。爱丽丝-斯塔什科娃(Alice Stašková)介绍了汉斯-韦兴格(Hans Vaihinger)的《奥卜》(Als Ob),她的反思一如既往地清晰,将韦兴格(尽管是康德的 "共鸣 "现象(192),也涉及其哲学著作《奥卜》(Als Ob)及其通俗版的接受情况)与布罗赫联系在一起。斯塔什科娃认为,"元虚构"(194)允许一种乐观的现实主义,而布洛赫却 "越来越批判性地 "看待这种现实主义(197):"系统学 "恰恰不是韦兴格所允许的,而是他的追随者希望自己允许的。鲁道夫-卡尔纳普(Rudolf Carnap)的情况则不同,布洛赫有他的演讲记录;马蒂亚斯-诺伊贝尔(Matthias Neuber)提供了一份来自档案馆的报告,其中附有卡尔纳普讲座的钥匙。
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Journal of Austrian Studies
Journal of Austrian Studies HUMANITIES, MULTIDISCIPLINARY-
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期刊介绍: The Journal of Austrian Studies is an interdisciplinary quarterly that publishes scholarly articles and book reviews on all aspects of the history and culture of Austria, Austro-Hungary, and the Habsburg territory. It is the flagship publication of the Austrian Studies Association and contains contributions in German and English from the world''s premiere scholars in the field of Austrian studies. The journal highlights scholarly work that draws on innovative methodologies and new ways of viewing Austrian history and culture. Although the journal was renamed in 2012 to reflect the increasing scope and diversity of its scholarship, it has a long lineage dating back over a half century as Modern Austrian Literature and, prior to that, The Journal of the International Arthur Schnitzler Research Association.
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