{"title":"Von November bis März (ABSTECHEN): A Prose Poem by Angelika Reitzer and an Interview with the Author","authors":"JAS Editors, Angelika Reitzer","doi":"10.1353/oas.2024.a921901","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"<span><span>In lieu of</span> an abstract, here is a brief excerpt of the content:</span>\n<p> <ul> <li><!-- html_title --> Von November bis März (ABSTECHEN)<span>A Prose Poem by Angelika Reitzer and an Interview with the Author</span> <!-- /html_title --></li> <li> JAS Editors and Angelika Reitzer </li> </ul> <h2>Introduction</h2> <p>Angelika Reitzer is a contemporary Austrian writer and playwright who is making her mark on the international literary landscape. She was born in Graz in 1971 and subsequently studied literature and history in Salzburg and Berlin. Since 2001 she has made Vienna her permanent residence. Her many publications include novels such as <em>Taghelle Gegend</em> (2007), <em>unter uns</em> (2010), <em>Wir Erben</em> (2014), and <em>Obwohl es kalt ist draußen</em> (2018); a short story collection, <em>Frauen in Vasen</em> (2008); the libretto for the opera <em>Regina—einFest!</em> (2022); and numerous other works, including mini- dramas and texts for a film trilogy. Her play <em>Ein Kind seiner Zeit</em>, inspired by Hieronymus Bosch’s painting <em>Christ Child with a Walking Frame</em>, was performed in the Kunsthistorisches Museum in Vienna. Her work has received numerous awards, including the 2009 Förderungspreis der Stadt Wien, the 2012 Otto Stoessl- Preis, the 2014 Literaturpreis des Landes Steiermark, and the 2016 Outstanding Artist Award for Literature. Reitzer has also been writer- in- residence at Bowling Green State University in 2012 and at Grinnell College in 2023. More information about Angelika Reitzer and her previous and upcoming work can be found on her website https://angelikareitzer.eu.</p> <p>The following is a short, previously unpublished piece by Reitzer, followed by an interview about this text and her oeuvre. <strong>[End Page 97]</strong></p> <h2>Von November bis März (ABSTECHEN)</h2> <p>Die Großeltern von Alois waren Knecht und Magd, sie konnten heiraten und einen kleinen Bauernhof mit dem Vulgonamen »Niachtn« erwerben. Niachtn heißt Nichts.</p> <p>Es war ein Aufstieg: Gerade noch Leibeigene, dann Kleinbauern mit Stall, einigen Hektar Ackergrund und ein Flecken Wald.</p> <p>Alois ist achtzehn, als sein Vater stirbt und er den Hof übernimmt, auf dem neben seiner Mutter und drei jüngeren Geschwistern noch einige Verwandte leben, alt, pflegebedürftig, einer mit Kropf. Diese rund zehnköpfige Familie versorgt er mit ein paar Kühen, Schweinen und Hühnern und dem, was auf den wenigen Feldern rund um das Haus wächst.</p> <p>Tierarzt, wie er es sich als junger Mann vorgenommen hat, wird er nicht.</p> <p>Alois hat bei seinem Onkel Kajetan, der Fleischhacker in Raaba war, gelernt, Schweine zu schlachten. Lange Zeit geht er von November bis März auf die Bauernhöfe in der Umgebung abstechen.</p> <p>Mit einem Bolzenschuss, auf oder durch die Schädeldecke, wird das Schwein betäubt, bevor es durch einen Halsbruststich getötet wird. Dabei setzt man das Stechmesser drei Finger breit vor dem Brustbein an und sticht schräg nach hinten Richtung Herz und Schwanzende des kopfüber hängenden Schweins, um die dahinter liegenden Blutgefäße zu treffen. Wir Kinder haben das auf- gesammelte Blut gerührt, damit sich keine Klumpen bilden.</p> <p>Heute findet die Betäubung meist elektrisch statt.</p> <p>Den eigenen Hof wandelt Alois ab seiner Heirat in den 1960er- Jahren in einen Gemüsebau um. Er modernisiert. Künstliche Düngemittel und neue Vertriebswege kehren in den Familienbetrieb ein. Jetzt wird die Milch nicht mehr auf einem sogenannten Holder nach Graz gefahren und direkt verkauft, sondern hunderte Kisten Salat an Supermarktketten, die Abnahmezusagen nicht immer einhalten und die Preise willkürlich verändern, geliefert. Diese Abhängigkeit setzt Alois zu, aber er nimmt es als gegeben hin.</p> <p>Im eigenen Betrieb schafft er alle Kühe und auch die Hühner ab, nur ein paar Schweine für den Eigenbedarf behält er noch lange.</p> <p>Zuhause verarbeitet er das Schwein auch. Das macht er gern.</p> <p>Das Fleisch wird zu Würsten, Sulz und Pasteten verarbeitet, später auch eingefroren, es gibt Schmalz und am Tag des Abstechens Bluttomerl, eine Art Kuchen mit dem frischen Schweineblut, Hirn mit Ei, das wir Kinder besonders mögen sowie für die erwachsenen Helfer den als Fischerl bezeichneten Lungenbraten. <strong>[End Page 98]</strong></p> <p>Hin und wieder zu Silvester einen gekochten Sauschädel. Ein Brauch, den vor allem die urbanen Gäste schätzen. Skurril finden die das und: wie früher.</p> <p>Für das Sauabstechen auf den Höfen der anderen Bauern wird Alois nicht oder wenig bezahlt, meistens in Naturalien, die kaum etwas mit...</p> </p>","PeriodicalId":40350,"journal":{"name":"Journal of Austrian Studies","volume":"35 1","pages":""},"PeriodicalIF":0.1000,"publicationDate":"2024-03-08","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Journal of Austrian Studies","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.1353/oas.2024.a921901","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"0","JCRName":"HUMANITIES, MULTIDISCIPLINARY","Score":null,"Total":0}
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Abstract
In lieu of an abstract, here is a brief excerpt of the content:
Von November bis März (ABSTECHEN)A Prose Poem by Angelika Reitzer and an Interview with the Author
JAS Editors and Angelika Reitzer
Introduction
Angelika Reitzer is a contemporary Austrian writer and playwright who is making her mark on the international literary landscape. She was born in Graz in 1971 and subsequently studied literature and history in Salzburg and Berlin. Since 2001 she has made Vienna her permanent residence. Her many publications include novels such as Taghelle Gegend (2007), unter uns (2010), Wir Erben (2014), and Obwohl es kalt ist draußen (2018); a short story collection, Frauen in Vasen (2008); the libretto for the opera Regina—einFest! (2022); and numerous other works, including mini- dramas and texts for a film trilogy. Her play Ein Kind seiner Zeit, inspired by Hieronymus Bosch’s painting Christ Child with a Walking Frame, was performed in the Kunsthistorisches Museum in Vienna. Her work has received numerous awards, including the 2009 Förderungspreis der Stadt Wien, the 2012 Otto Stoessl- Preis, the 2014 Literaturpreis des Landes Steiermark, and the 2016 Outstanding Artist Award for Literature. Reitzer has also been writer- in- residence at Bowling Green State University in 2012 and at Grinnell College in 2023. More information about Angelika Reitzer and her previous and upcoming work can be found on her website https://angelikareitzer.eu.
The following is a short, previously unpublished piece by Reitzer, followed by an interview about this text and her oeuvre. [End Page 97]
Von November bis März (ABSTECHEN)
Die Großeltern von Alois waren Knecht und Magd, sie konnten heiraten und einen kleinen Bauernhof mit dem Vulgonamen »Niachtn« erwerben. Niachtn heißt Nichts.
Es war ein Aufstieg: Gerade noch Leibeigene, dann Kleinbauern mit Stall, einigen Hektar Ackergrund und ein Flecken Wald.
Alois ist achtzehn, als sein Vater stirbt und er den Hof übernimmt, auf dem neben seiner Mutter und drei jüngeren Geschwistern noch einige Verwandte leben, alt, pflegebedürftig, einer mit Kropf. Diese rund zehnköpfige Familie versorgt er mit ein paar Kühen, Schweinen und Hühnern und dem, was auf den wenigen Feldern rund um das Haus wächst.
Tierarzt, wie er es sich als junger Mann vorgenommen hat, wird er nicht.
Alois hat bei seinem Onkel Kajetan, der Fleischhacker in Raaba war, gelernt, Schweine zu schlachten. Lange Zeit geht er von November bis März auf die Bauernhöfe in der Umgebung abstechen.
Mit einem Bolzenschuss, auf oder durch die Schädeldecke, wird das Schwein betäubt, bevor es durch einen Halsbruststich getötet wird. Dabei setzt man das Stechmesser drei Finger breit vor dem Brustbein an und sticht schräg nach hinten Richtung Herz und Schwanzende des kopfüber hängenden Schweins, um die dahinter liegenden Blutgefäße zu treffen. Wir Kinder haben das auf- gesammelte Blut gerührt, damit sich keine Klumpen bilden.
Heute findet die Betäubung meist elektrisch statt.
Den eigenen Hof wandelt Alois ab seiner Heirat in den 1960er- Jahren in einen Gemüsebau um. Er modernisiert. Künstliche Düngemittel und neue Vertriebswege kehren in den Familienbetrieb ein. Jetzt wird die Milch nicht mehr auf einem sogenannten Holder nach Graz gefahren und direkt verkauft, sondern hunderte Kisten Salat an Supermarktketten, die Abnahmezusagen nicht immer einhalten und die Preise willkürlich verändern, geliefert. Diese Abhängigkeit setzt Alois zu, aber er nimmt es als gegeben hin.
Im eigenen Betrieb schafft er alle Kühe und auch die Hühner ab, nur ein paar Schweine für den Eigenbedarf behält er noch lange.
Zuhause verarbeitet er das Schwein auch. Das macht er gern.
Das Fleisch wird zu Würsten, Sulz und Pasteten verarbeitet, später auch eingefroren, es gibt Schmalz und am Tag des Abstechens Bluttomerl, eine Art Kuchen mit dem frischen Schweineblut, Hirn mit Ei, das wir Kinder besonders mögen sowie für die erwachsenen Helfer den als Fischerl bezeichneten Lungenbraten. [End Page 98]
Hin und wieder zu Silvester einen gekochten Sauschädel. Ein Brauch, den vor allem die urbanen Gäste schätzen. Skurril finden die das und: wie früher.
Für das Sauabstechen auf den Höfen der anderen Bauern wird Alois nicht oder wenig bezahlt, meistens in Naturalien, die kaum etwas mit...
期刊介绍:
The Journal of Austrian Studies is an interdisciplinary quarterly that publishes scholarly articles and book reviews on all aspects of the history and culture of Austria, Austro-Hungary, and the Habsburg territory. It is the flagship publication of the Austrian Studies Association and contains contributions in German and English from the world''s premiere scholars in the field of Austrian studies. The journal highlights scholarly work that draws on innovative methodologies and new ways of viewing Austrian history and culture. Although the journal was renamed in 2012 to reflect the increasing scope and diversity of its scholarship, it has a long lineage dating back over a half century as Modern Austrian Literature and, prior to that, The Journal of the International Arthur Schnitzler Research Association.