{"title":"Friderike >Zweig<. Weibliche Intellektualität im frühen 20. Jahrhundert by Deborah Holmes und Martina Wörgötter (review)","authors":"Peter Höyng","doi":"10.1353/oas.2023.a914885","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"<span><span>In lieu of</span> an abstract, here is a brief excerpt of the content:</span>\n<p> <span>Reviewed by:</span> <ul> <li><!-- html_title --> <em>Friderike >Zweig<. Weibliche Intellektualität im frühen 20. Jahrhundert</em> by Deborah Holmes und Martina Wörgötter <!-- /html_title --></li> <li> Peter Höyng </li> </ul> Deborah Holmes und Martina Wörgötter, Hrsg. <em>Friderike >Zweig<. Weibliche Intellektualität im frühen 20. Jahrhundert</em>. Schriftenreihe des Stefan Zweig Zentrums Salzburg 15. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2023. 167 S. <p>Diesen Sammelband zu rezensieren, leitete sich anfangs aus meinem Interesse, mehr über Stefan Zweig—noch immer auflagenstarker österreichischer Weltautor—auf dem Umweg seiner ersten Frau, Friderike Maria Zweig (1882–1971), zu lernen. Meine Neugier speiste sich nicht zuletzt durch Ulrich Weinzierls Biographie <em>Stefan Zweigs brennendes Geheimnis</em> (2015), in der er weniger philologisch als detektivisch nachzuweisen versuchte, dass Zweig ein Exhibitionist gewesen sei. Zweigs skandalöse Verfehlung spiegele nur wider, wie sehr die von ihm allgemein gehaltene Darstellung einer sexuellen Doppelmoral des Wiener Fin de Siècle in seinen Memoiren <em>Die Welt von Gestern</em> (1942) sein eigenes erotisch-sexuelles Leben mitprägte. Für Weinzierl gab es auch eine Schuldige in dem Vertuschen von Zweigs vermeintlich sexueller Vorliebe, nämlich seine erste Frau, Friderike Zweig, geborene Burger. Kennengelernt hatten sich die beiden 1912, als Friderike noch mit Felix Edler von Winternitz verheiratet war. 1920 heiratete Friderike dann Stefan Zweig, und auch nach ihrer Scheidung 1938 blieb sie dem erfolgsverwöhnten Autor als Lebensgefährtin verbunden. Darüber hinaus verwaltete sie als Witwe im US-Exil einen wichtigen Teil seines Nachlasses, inklusive ihrer beiden rund 1,300 Briefe, \"von denen bislang weniger als <strong>[End Page 117]</strong> die Hälfte publiziert worden ist\" (8). Und Friderike Zweig war es auch, die 1947 die erste Biographie schrieb, <em>Stefan Zweig. Wie ich ihn erlebte</em>. Dementsprechend galt sie lange Zeit innerhalb der Stefan Zweig-Forschung als wichtige Quelle, nicht zuletzt auch wegen ihrer eigenen Memoiren, <em>Spiegelungen des Lebens</em> (1964). Doch in Weinzierls Biographie mutierte Friderike Zweig gleichsam zu einer Königin der Nacht, die \"von Anfang ihrer Beziehung aus egoistischem Geltungsbedürfnis vom Glanz des berühmten Schriftstellers zu profitieren versuchte\" (8). Entsprechend pejorativ wurden auch von Weinzierl und anderen Literaturwissenschaftlern ihre eigenen vier schriftstellerischen Arbeiten rezipiert: <em>Die Liebe ist die Gefahr der Einsamsten</em> (1904), <em>Der Ruf der Heimat</em> (1914), <em>Vögelchen</em> (1919) und <em>Louis Pasteur. Bild des Lebens und des Werkes</em> (1939).</p> <p>Umso begrüßenswerter ist der von Deborah Holmes und Martina Wörgötter sorgfältig betreute Tagungsband, dessen erklärtes Ziel es ist, Friderike Zweigs \"Potential im Kontext weiblicher Emanzipationsbewegungen herauszuarbeiten,\" und damit \"weitestgehend Neuland zu betreten\" (11). In zehn Beiträgen wird die Vielfalt verschiedener Rollen und Betätigungen, die Friderike Burger Winternitz Zweig [sic] im Laufe ihres Lebens einnahm, deutlich: \"Tochter aus bürgerlichem Haus, zum Katholizismus konvertiert, Jüdin, Lehrerin, Journalistin, Roman-Autorin, Übersetzerin, Schriftsteller-Gattin, Frauenrechtlerin, Friedensaktivistin, Flüchtling, [und] Literaturvermittlerin\" (11).</p> <p>Selten ist mir eine so gelungene Ansammlung von knappen, aber konzisen gehaltenen Beiträgen untergekommen, die sich aufs beste ergänzen bzw. einen differenzierten Panoramablick entfalten, in dem Friderike Zweig Gerechtigkeit sowohl gegenüber ihren diversen Lebensrollen widerfährt als auch ihren eigenen vier Texten, die je einzeln in Ansätzen interpretiert werden. Da die AutorInnen Friderike Zweig weder biographisch noch literarisch apologetisch begegnen und gleichzeitig sich auch freihalten von polemischer Besserwisserei, gelingt es ihnen, auf sympathische und nachvollziehbare Weise Ambivalenzen in Friderike Burger Winternitz Zweigs [sic] Leben und Texten freizulegen und sich nicht korrektiv einzuschalten. Solchermaßen gerät Friderike Zweig weder vorschnell zu einer mühelos feministisch zu vereinnahmender Ikone noch zu einer leicht zu verurteilenden Schriftsteller-Gattin oder Roman-Autorin.</p> <p>Letzteres wäre beispielsweise mehr als vertretbar, wenn Marlen Mairhofer Friderike Winternitz' Roman <em>Vögelchen</em> (1919) vorstellt, in dem es \"zwischen <strong>[End Page 118]</strong> dem Miniaturensammler Adalbert Mannsthal und seiner 'Vögelchen' genannten Stieftocher Arabella\" zum Geschlechtsverkehr kommt, als Arabella erst vierzehn Jahre zählt (!) (145). Während Mairhofer zugesteht, dass diese Episode \"für Leser*innen durchaus herausfordernd\" ist (148), widerspricht sie dennoch Weinzierl, wenn jener diese ausführlich erzählte Situation \"hart an der Grenze zu pseudopoetischer Kindermissbrauchspornographie\" abtut. Stattdessen arbeitet Mairhofer plausibel heraus, dass sich die unterschiedlichen weiblichen Figuren des Romans \"sexuell und ökonomisch, in verschiedenen Bereichen\" zu behaupten verstehen (147).</p> <p>Ähnlich differenziert verfahren auch Simone Lettner und Lina Maria Zangerl, wenn erstere das \"prek...</p> </p>","PeriodicalId":40350,"journal":{"name":"Journal of Austrian Studies","volume":"1 1","pages":""},"PeriodicalIF":0.1000,"publicationDate":"2023-12-15","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Journal of Austrian Studies","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.1353/oas.2023.a914885","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"0","JCRName":"HUMANITIES, MULTIDISCIPLINARY","Score":null,"Total":0}
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Abstract
In lieu of an abstract, here is a brief excerpt of the content:
Reviewed by:
Friderike >Zweig<. Weibliche Intellektualität im frühen 20. Jahrhundert by Deborah Holmes und Martina Wörgötter
Peter Höyng
Deborah Holmes und Martina Wörgötter, Hrsg. Friderike >Zweig<. Weibliche Intellektualität im frühen 20. Jahrhundert. Schriftenreihe des Stefan Zweig Zentrums Salzburg 15. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2023. 167 S.
Diesen Sammelband zu rezensieren, leitete sich anfangs aus meinem Interesse, mehr über Stefan Zweig—noch immer auflagenstarker österreichischer Weltautor—auf dem Umweg seiner ersten Frau, Friderike Maria Zweig (1882–1971), zu lernen. Meine Neugier speiste sich nicht zuletzt durch Ulrich Weinzierls Biographie Stefan Zweigs brennendes Geheimnis (2015), in der er weniger philologisch als detektivisch nachzuweisen versuchte, dass Zweig ein Exhibitionist gewesen sei. Zweigs skandalöse Verfehlung spiegele nur wider, wie sehr die von ihm allgemein gehaltene Darstellung einer sexuellen Doppelmoral des Wiener Fin de Siècle in seinen Memoiren Die Welt von Gestern (1942) sein eigenes erotisch-sexuelles Leben mitprägte. Für Weinzierl gab es auch eine Schuldige in dem Vertuschen von Zweigs vermeintlich sexueller Vorliebe, nämlich seine erste Frau, Friderike Zweig, geborene Burger. Kennengelernt hatten sich die beiden 1912, als Friderike noch mit Felix Edler von Winternitz verheiratet war. 1920 heiratete Friderike dann Stefan Zweig, und auch nach ihrer Scheidung 1938 blieb sie dem erfolgsverwöhnten Autor als Lebensgefährtin verbunden. Darüber hinaus verwaltete sie als Witwe im US-Exil einen wichtigen Teil seines Nachlasses, inklusive ihrer beiden rund 1,300 Briefe, "von denen bislang weniger als [End Page 117] die Hälfte publiziert worden ist" (8). Und Friderike Zweig war es auch, die 1947 die erste Biographie schrieb, Stefan Zweig. Wie ich ihn erlebte. Dementsprechend galt sie lange Zeit innerhalb der Stefan Zweig-Forschung als wichtige Quelle, nicht zuletzt auch wegen ihrer eigenen Memoiren, Spiegelungen des Lebens (1964). Doch in Weinzierls Biographie mutierte Friderike Zweig gleichsam zu einer Königin der Nacht, die "von Anfang ihrer Beziehung aus egoistischem Geltungsbedürfnis vom Glanz des berühmten Schriftstellers zu profitieren versuchte" (8). Entsprechend pejorativ wurden auch von Weinzierl und anderen Literaturwissenschaftlern ihre eigenen vier schriftstellerischen Arbeiten rezipiert: Die Liebe ist die Gefahr der Einsamsten (1904), Der Ruf der Heimat (1914), Vögelchen (1919) und Louis Pasteur. Bild des Lebens und des Werkes (1939).
Umso begrüßenswerter ist der von Deborah Holmes und Martina Wörgötter sorgfältig betreute Tagungsband, dessen erklärtes Ziel es ist, Friderike Zweigs "Potential im Kontext weiblicher Emanzipationsbewegungen herauszuarbeiten," und damit "weitestgehend Neuland zu betreten" (11). In zehn Beiträgen wird die Vielfalt verschiedener Rollen und Betätigungen, die Friderike Burger Winternitz Zweig [sic] im Laufe ihres Lebens einnahm, deutlich: "Tochter aus bürgerlichem Haus, zum Katholizismus konvertiert, Jüdin, Lehrerin, Journalistin, Roman-Autorin, Übersetzerin, Schriftsteller-Gattin, Frauenrechtlerin, Friedensaktivistin, Flüchtling, [und] Literaturvermittlerin" (11).
Selten ist mir eine so gelungene Ansammlung von knappen, aber konzisen gehaltenen Beiträgen untergekommen, die sich aufs beste ergänzen bzw. einen differenzierten Panoramablick entfalten, in dem Friderike Zweig Gerechtigkeit sowohl gegenüber ihren diversen Lebensrollen widerfährt als auch ihren eigenen vier Texten, die je einzeln in Ansätzen interpretiert werden. Da die AutorInnen Friderike Zweig weder biographisch noch literarisch apologetisch begegnen und gleichzeitig sich auch freihalten von polemischer Besserwisserei, gelingt es ihnen, auf sympathische und nachvollziehbare Weise Ambivalenzen in Friderike Burger Winternitz Zweigs [sic] Leben und Texten freizulegen und sich nicht korrektiv einzuschalten. Solchermaßen gerät Friderike Zweig weder vorschnell zu einer mühelos feministisch zu vereinnahmender Ikone noch zu einer leicht zu verurteilenden Schriftsteller-Gattin oder Roman-Autorin.
Letzteres wäre beispielsweise mehr als vertretbar, wenn Marlen Mairhofer Friderike Winternitz' Roman Vögelchen (1919) vorstellt, in dem es "zwischen [End Page 118] dem Miniaturensammler Adalbert Mannsthal und seiner 'Vögelchen' genannten Stieftocher Arabella" zum Geschlechtsverkehr kommt, als Arabella erst vierzehn Jahre zählt (!) (145). Während Mairhofer zugesteht, dass diese Episode "für Leser*innen durchaus herausfordernd" ist (148), widerspricht sie dennoch Weinzierl, wenn jener diese ausführlich erzählte Situation "hart an der Grenze zu pseudopoetischer Kindermissbrauchspornographie" abtut. Stattdessen arbeitet Mairhofer plausibel heraus, dass sich die unterschiedlichen weiblichen Figuren des Romans "sexuell und ökonomisch, in verschiedenen Bereichen" zu behaupten verstehen (147).
Ähnlich differenziert verfahren auch Simone Lettner und Lina Maria Zangerl, wenn erstere das "prek...
期刊介绍:
The Journal of Austrian Studies is an interdisciplinary quarterly that publishes scholarly articles and book reviews on all aspects of the history and culture of Austria, Austro-Hungary, and the Habsburg territory. It is the flagship publication of the Austrian Studies Association and contains contributions in German and English from the world''s premiere scholars in the field of Austrian studies. The journal highlights scholarly work that draws on innovative methodologies and new ways of viewing Austrian history and culture. Although the journal was renamed in 2012 to reflect the increasing scope and diversity of its scholarship, it has a long lineage dating back over a half century as Modern Austrian Literature and, prior to that, The Journal of the International Arthur Schnitzler Research Association.