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Abstract
In den kulturphilosophischen Debatten um die Zukunft des Staates taucht in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg die Rede vom planetarischen Maßstab der Technik auf. Technik erscheint dabei als ein eigenständiges Gefüge, das von seiner Tendenz her erdumspannend ist und mit den territorialen Grenzen der Nationalstaaten auch die mit ihnen verbundenen kulturellen Codes außer Kraft setzt. Anders als das Globale beschreibt das Planetarische aber nicht den Prozess eines Weltweit-Werdens, sondern das Auftauchen der Erdoberfläche als eines begrenzten Aufenthaltsraums. Zugleich ist es deutlich vom Kosmopolitischen unterschieden, wie es Kant 1795 in seiner Schrift Zum Ewigen Frieden entworfen hatte. Die Frage des menschlichen Zusammenlebens verschiebt sich in seinem Licht vielmehr hin zur Gestaltung technologischer Umwelten, die sich der Unterscheidung von Natur und Kultur entziehen. Gerade damit aber verleiht das Planetarische der Technik den Stellenwert eines äußersten und letzten Bezugsrahmens, mit dem alle anderen Maßstäbe ihren Orientierungswert verlieren. Hans Blumenberg hat die metaphorische Dynamik beschrieben, die das kopernikanische Weltmodell bis ins späte 19. Jahrhundert entfaltete. Sie führt von der »Nobilitierung der Erde bei Galilei bis zu Nietzsches Klage über die Verkleinerung des Menschen seit Copernicus«.1 Im 20. Jahrhundert erfährt die »Frage nach der Stellung des Menschen in der Welt, im Sinne seiner zentralen Bedachtheit und Vorgesehenheit oder seiner peripheren Mitläufigkeit im Weltgetriebe, also seines Verhältnisses zu allem übrigen Seienden und dieses Seienden zu ihm«,2 eine neue Antwort. Der planetarische Maßstab (der Technik) ist eine absolute Metapher im Sinne Blumenbergs, die den Bezug des Menschen zur Erde zugleich als ein planendes Sicheinrichten und ein ortloses Umherirren (griechisch planos) erscheinen lässt.