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Abstract
„Was vergangen, kehrt nicht wieder, aber ging es leuchtend nieder, leuchtet’s lange noch zurück.“ Professor Adalbert Czerny bemühte den deutschen Romantikdichter Karl August Förster, als er 1922 den Quäkern des US-amerikanischen American Friends Service Committee (AFSC) für ihre soeben zu Ende gegangene Kinderspeisungsaktion in Deutschland dankte. Die Quäker, so Czerny, Ordinarius für Kinderund Jugendheilkunde an der Berliner Charité und einer der Begründer der modernen Pädiatrie, hätten ein Werk in Gang gebracht, das „an Geschlossenheit und Ehrlichkeit alle anderen Versuche, dem deutschen Volke in seiner Not zu helfen“, übertroffen habe und das darüber hinaus, was seine „wissenschaftlichen Methoden“ betraf, als leuchtendes Vorbild in Erinnerung bleiben werde.1 Czernys Lob war kein Einzelfall im Europa der Zwischenkriegsjahre. So wie er kamen Millionen von Menschen unter anderem in Frankreich, Deutschland, Russland, Österreich und Spanien in Berührung mit den Hilfsaktionen des 1917 gegründeten AFSC, der zentralen Hilfsorganisation der US-amerikanischen Quäker,2 die gleichermaßen als Vertreterin eines universellen religiös-humanitären Impetus sowie amerikanischer Großzügigkeit und Fortschrittlichkeit auftrat. An vielen Orten leuchteten diese Aktivitäten in der Tat noch lange nach, etwa im weitverbreiteten Gebrauch des Begriffs „Quäkerspeisungen“ in Deutschland. Der historische Rückblick lässt vor allem ein Erstaunen lebendig werden, das schon die Zeitgenossen erfüllte: Es ist das Erstaunen über die scheinbare Omnipräsenz und den Einfluss dieser kleinen protestantischen Sekte, die weltweit zu Anfang des 20. Jahrhunderts nicht mehr als etwa 250.000 Mitglieder hatte.