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Abstract
Der Titel ist reizvoll. Er signalisiert einen Konflikt. Aber der Titel kann den flüchtigen Leser in zweifacher Hinsicht in die Irre führen. Wer sich an Fragen der Drittwirkung der Grundrechte, etwa an das Lüth-Urteil (BVerfGE 7, 198), erinnert sieht und sich vielleicht verwundert fragt, wie es um derartige Probleme in vorkonstitutioneller Zeit stand, wird enttäuscht sein. Um eine historische Grundrechtsdogmatik geht es bestenfalls am Rande. Grimm schreibt kein verfassungsdogmatisches Buch. Er interessiert sich allein für eine verfassungshistorische und insoweit auch verfassungspolitische Problemund Entwicklungsgeschichte, deren Gegenstand das Verhältnis von Verfassung und Privatrecht ist. Den Themenbereich fasst er allerdings recht weit. Das Privatrecht ist für ihn das Recht der »Privaten« untereinander. Die zweite Irreführung besteht im gewählten Titel in der zeitlichen Dimension. Nicht das 19. Jahrhundert in seiner zeitlichen Gesamtheit wird betrachtet, sondern nur dessen erste zwei Jahrzehnte und – soweit die Auswirkungen der französischen Revolution einbezogen werden – geht der Blick auch in das ausgehende 18. Jahrhundert zurück. Der Zeitrahmen sind dreißig Jahre. Erfährt der Leser schließlich, dass das angezeigte Werk den Forschungsstand von 1979 hat, kann er geneigt sein, es zur Seite zu legen. Das sollt er indes nicht tun, wenn er an einer kundigen Entschlüsselung der Frühzeit der Konstituierung des Verfassungsgedankens interessiert ist. Grimm, um dessen Habilitationsschrift es sich hier handelt, untersucht den Zeitraum von der Französischen Revolution bis zum Beginn der deutschen Restauration, den man etwa auf 1820 datieren kann. Eingangs erklärt der Autor, aus welchen Gründen die 1979 fertig gestellte Schrift nicht alsbald veröffentlicht wurde. Ursprünglich war ein zweiter Band geplant. Dazu kam es nicht. Es ist das »bewegte« Leben dieses public intellectual, nachzulesen in dem »Wissenschaftsbiographischen Interview«, geführt und herausgegeben von Christian Waldhoff, Oliver Lepsius und Matthias Roßbach (Ich bin ein Freund der Verfassung, Verlag Mohr Siebeck, 2017). Grimm hat mit dem entschuldigenden Satz wohl Recht, die Arbeit sei nicht überholt. Nicht etwa, dass Geschichte per se zeitlos ist, aber die Perspektive habe sich – nach vorgenommener Selbstprüfung – nicht geändert, meint der Verfasser. Ist das aber wirklich so? Man mag es nicht so recht glauben. Der Rezensent beurteilt Grimm jedenfalls anders. Indes, darauf kommt es gar nicht an. Das Buch steht in seiner Analysekraft für sich selbst. Das ist entscheidend.