{"title":"Vom Stachel der Bilder","authors":"Emmanuel Alloa","doi":"10.1515/jbmp-2017-0010","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Wissenschaft, so könnte es scheinen, ist bloße Formsache. Wer den Dingen auf den Grund gehen und wiederkehrende Gesetzmäßigkeiten feststellen will, muss die Kontingenz der jeweiligen Erscheinungsweise wegrechnen, damit das gleichbleibende Formgerüst in aller Deutlichkeit hervortritt. Wissenschaft gilt nicht dem Akzidens, sondern der überprüf baren, belastbaren Grundstruktur der Dinge, und diese äußert sich in der Form. Idea ist Platons Name hierfür, Eidos bei Aristoteles, Wesen bei Hegel, und ihr Ausdruck ist die Form. »Form, forma« erklärt Heidegger »entspricht der griechischen morphè. Sie ist die umschließende Grenze und Begrenzung, das, was ein Seiendes in das bringt und stellt, was es ist, so daß es in sich steht: die Gestalt. Das also Stehende ist jenes, als was das Seiende sich zeigt, sein Aussehen, eidos, wodurch und worin es heraustritt, sich dar-stellt, sich öffentlich macht«1 Wissenschaft, so ließe sich argumentieren, ist somit in erster Linie Eidetik. Aus dieser Betrachtung fielen Bilder entsprechend lange heraus, galten sie doch aufgrund einer anhaltenden Tradition der Bilderskepsis, wenn nicht gar der Bildfeindschaft, als unbeständige, alogisch-unvernünftige Erscheinungen, die nur als Reizauslöser, nicht aber als Wissenslieferanten dienen können. Nur konsequent war es da, dass die Rehabilitierung des Ikonischen über das Formproblem verlief, und nicht über die Frage nach den Mächten und Wirkungen. Panofsky, der Begründer der ikonologisch-ikonographischen Methode, führte diese bekanntlich auf die neuplatonische Idea-Lehre zurück,2 während die Erforschung der Wissenschaftsbilder heute wiederum damit begründet wird, dass Bildanalyse zunächst Formanalyse sein muss.3 Selbst der heute oft bemühte Aby Warburg,","PeriodicalId":340540,"journal":{"name":"Internationales Jahrbuch für Medienphilosophie","volume":"82 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0000,"publicationDate":"2017-02-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Internationales Jahrbuch für Medienphilosophie","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.1515/jbmp-2017-0010","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"","JCRName":"","Score":null,"Total":0}
引用次数: 0
Abstract
Wissenschaft, so könnte es scheinen, ist bloße Formsache. Wer den Dingen auf den Grund gehen und wiederkehrende Gesetzmäßigkeiten feststellen will, muss die Kontingenz der jeweiligen Erscheinungsweise wegrechnen, damit das gleichbleibende Formgerüst in aller Deutlichkeit hervortritt. Wissenschaft gilt nicht dem Akzidens, sondern der überprüf baren, belastbaren Grundstruktur der Dinge, und diese äußert sich in der Form. Idea ist Platons Name hierfür, Eidos bei Aristoteles, Wesen bei Hegel, und ihr Ausdruck ist die Form. »Form, forma« erklärt Heidegger »entspricht der griechischen morphè. Sie ist die umschließende Grenze und Begrenzung, das, was ein Seiendes in das bringt und stellt, was es ist, so daß es in sich steht: die Gestalt. Das also Stehende ist jenes, als was das Seiende sich zeigt, sein Aussehen, eidos, wodurch und worin es heraustritt, sich dar-stellt, sich öffentlich macht«1 Wissenschaft, so ließe sich argumentieren, ist somit in erster Linie Eidetik. Aus dieser Betrachtung fielen Bilder entsprechend lange heraus, galten sie doch aufgrund einer anhaltenden Tradition der Bilderskepsis, wenn nicht gar der Bildfeindschaft, als unbeständige, alogisch-unvernünftige Erscheinungen, die nur als Reizauslöser, nicht aber als Wissenslieferanten dienen können. Nur konsequent war es da, dass die Rehabilitierung des Ikonischen über das Formproblem verlief, und nicht über die Frage nach den Mächten und Wirkungen. Panofsky, der Begründer der ikonologisch-ikonographischen Methode, führte diese bekanntlich auf die neuplatonische Idea-Lehre zurück,2 während die Erforschung der Wissenschaftsbilder heute wiederum damit begründet wird, dass Bildanalyse zunächst Formanalyse sein muss.3 Selbst der heute oft bemühte Aby Warburg,