{"title":"Juana de Ibarbourou oder die Juana Amerikas","authors":"Juana de Ibarbourou, Juana Amerikas","doi":"10.1515/9783110703450-020","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Wenden wir uns nun dieser heute ebenfalls ins zweite Glied gerückten Dichterin Juana de Ibarbourou zu, die 1929 zur „Juana de América“ ausgerufen wurde und zumindest bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts zu den großen, überragenden Stimmen der lateinamerikanischen Lyrik zählte. Die Dichterin aus Uruguay stieß auf eine kontinentale und noch in Europa spürbare Rezeption, wie sie neben Gabriela Mistral nach ihr – soweit ich sehe – keiner der Lyrikerinnen Lateinamerikas mehr zuteilwurde. Es fällt schwer, von Juana de Ibarbourou zu sprechen, ohne ihren Habitus mitzudenken und in die Analyse miteinzubeziehen. Denn die Uruguayerin wirkte auch durch ihr mondänes Auftreten, mit dem sie sich ebenso von der Schlichtheit Gabriela Mistrals wie der feministischen Kampfeslust und tiefen Verzweiflung Alfonsina Stornis abhob, ja gänzlich unterschied. Eine uruguayische Essayistin und fanatische Verteidigerin ihrer Landsfrau betonte immer wieder Juanas Schönheit und Anmut. Auch schreckte sie nicht davor zurück, dem historischen Zusammentreffen von letzterer, Gabriela Mistral und Alfonsina Storni, das vielfach medial festgehalten wurde, sowohl die Züge dreier Grazien zu vermitteln, aber zugleich die Grazie der beiden anderen Frauen abzuwerten, indem sie Gabriela als zu „varonil“, als allzu männlich, abwertete und Alfonsina als eine „fea dulzura“, eine hässliche Süße, porträtierte. Mit der Lyrik oder ästhetischen Wirkung der Dichtungen dieser Lyrikerinnen hat das nicht das Geringste zu tun. Gerade bei den Frauen spielten der öffentliche Auftritt und die verschiedenartigen Ausdrucksformen des Habitus eine noch größere Rolle als bei den männlichen Kollegen. Wir sollten es Juana de Ibarbourou freilich nicht übel auslegen, dass sie als schöne junge Frau dem Zeitgeschmack des lesenden Bürgertums wohl besser entsprach als die beiden anderen Dichterinnen. Was für uns im Rahmen dieser Vorlesung zählt, ist die poetische Qualität der jeweiligen Dichtkunst. Es dürfte wohl kaum eine Lyrikerin des amerikanischen Kontinents in diesem 20. Jahrhundert gegeben haben, in deren Erfolg – wenn auch nicht in die unbestrittene literarische Qualität ihrer Dichtung – sich in so penetrantem Maße der wohl erstmals massenmedial verbreitete Anblick der schönen, eleganten, attraktiven, unschuldigen Lyrikerin mischte wie bei Juana de Ibarbourou. Ich möchte diesen äußerlichen Aspekt, der heutzutage bei einer Schriftstellerin leider eine noch wesentlich größere Rolle spielt, gerne kommunikationstheoretisch verstanden wissen und damit keineswegs die literarische Qualität der hübschen Uruguayerin schmälern. Schönheit soll aber auch nicht als Handicap verstanden werden. Beschäftigen wir uns vor einem textanalytischen Durchgang noch kurz mit einigen Biographemen von Juana de Ibarbourou!","PeriodicalId":427497,"journal":{"name":"Von den historischen Avantgarden bis nach der Postmoderne","volume":"1 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0000,"publicationDate":"2021-02-08","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Von den historischen Avantgarden bis nach der Postmoderne","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.1515/9783110703450-020","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"","JCRName":"","Score":null,"Total":0}
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Abstract
Wenden wir uns nun dieser heute ebenfalls ins zweite Glied gerückten Dichterin Juana de Ibarbourou zu, die 1929 zur „Juana de América“ ausgerufen wurde und zumindest bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts zu den großen, überragenden Stimmen der lateinamerikanischen Lyrik zählte. Die Dichterin aus Uruguay stieß auf eine kontinentale und noch in Europa spürbare Rezeption, wie sie neben Gabriela Mistral nach ihr – soweit ich sehe – keiner der Lyrikerinnen Lateinamerikas mehr zuteilwurde. Es fällt schwer, von Juana de Ibarbourou zu sprechen, ohne ihren Habitus mitzudenken und in die Analyse miteinzubeziehen. Denn die Uruguayerin wirkte auch durch ihr mondänes Auftreten, mit dem sie sich ebenso von der Schlichtheit Gabriela Mistrals wie der feministischen Kampfeslust und tiefen Verzweiflung Alfonsina Stornis abhob, ja gänzlich unterschied. Eine uruguayische Essayistin und fanatische Verteidigerin ihrer Landsfrau betonte immer wieder Juanas Schönheit und Anmut. Auch schreckte sie nicht davor zurück, dem historischen Zusammentreffen von letzterer, Gabriela Mistral und Alfonsina Storni, das vielfach medial festgehalten wurde, sowohl die Züge dreier Grazien zu vermitteln, aber zugleich die Grazie der beiden anderen Frauen abzuwerten, indem sie Gabriela als zu „varonil“, als allzu männlich, abwertete und Alfonsina als eine „fea dulzura“, eine hässliche Süße, porträtierte. Mit der Lyrik oder ästhetischen Wirkung der Dichtungen dieser Lyrikerinnen hat das nicht das Geringste zu tun. Gerade bei den Frauen spielten der öffentliche Auftritt und die verschiedenartigen Ausdrucksformen des Habitus eine noch größere Rolle als bei den männlichen Kollegen. Wir sollten es Juana de Ibarbourou freilich nicht übel auslegen, dass sie als schöne junge Frau dem Zeitgeschmack des lesenden Bürgertums wohl besser entsprach als die beiden anderen Dichterinnen. Was für uns im Rahmen dieser Vorlesung zählt, ist die poetische Qualität der jeweiligen Dichtkunst. Es dürfte wohl kaum eine Lyrikerin des amerikanischen Kontinents in diesem 20. Jahrhundert gegeben haben, in deren Erfolg – wenn auch nicht in die unbestrittene literarische Qualität ihrer Dichtung – sich in so penetrantem Maße der wohl erstmals massenmedial verbreitete Anblick der schönen, eleganten, attraktiven, unschuldigen Lyrikerin mischte wie bei Juana de Ibarbourou. Ich möchte diesen äußerlichen Aspekt, der heutzutage bei einer Schriftstellerin leider eine noch wesentlich größere Rolle spielt, gerne kommunikationstheoretisch verstanden wissen und damit keineswegs die literarische Qualität der hübschen Uruguayerin schmälern. Schönheit soll aber auch nicht als Handicap verstanden werden. Beschäftigen wir uns vor einem textanalytischen Durchgang noch kurz mit einigen Biographemen von Juana de Ibarbourou!