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Abstract
Als das NS-Regime 1938 in Wien die rechtlichen Rahmenbedingungen schuf, um die jüdische Bevölkerung zu enteignen, war nicht allein ein ökonomischer Plan zur Kriegsfinanzierung die Triebfeder. Vielmehr war auch das Ziel, die »reichen Juden« an sich zu schädigen. Das antisemitische Stereotyp des »reichen Juden« wirkte in alle Bereiche des nationalsozialistischen Vermögensentzuges hinein.1 Der Antisemitismus der Nationalsozialisten baute auf früheren konstruierten Zusammenhängen von »Juden« und »Reichtum« auf, die bereits im 19. Jahrhundert in der österreichischen und deutschen Gesellschaft kursiert hatten. Wenn man also die Wiener Juden im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts unter der Fragestellung nach der Entstehung ihres Wohlstands untersucht, hat man es mit überspitzten historischen Zuschreibungen von Reichtum zu tun, derer man sich stets bewusst sein muss. Der den Juden zugeschriebene Reichtum ist in seinem Ausmaß und vermeintlichen Ursprung ein antisemitisches Konstrukt. Nur für einen kleinen Anteil der jüdischen Bevölkerung Wiens um 1900 war Reichtum ein reales Phänomen. Diesen wenigen gelang ab Ende des 19. Jahrhunderts eine beeindruckende Kapitalakkumulation, in pekuniärer Form sowie auch in Form von sozialem Status, Bildung und kulturellem Kapital. Die gesellschaftliche Position der wohlhabenden Juden und die Wahrnehmung und statistische Erfassung ihrer Vermögen in der Wiener Gesellschaft von 1900 über den Nationalsozialismus bis in die Nachkriegszeit sind Thema des vorliegenden Textes. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die kulturelle Sphäre gelegt. Dabei rückt auch die Frage nach der Rolle des Geschlechts in den Blick. Das Geschlecht einer Person konnte nicht nur die Wahrnehmung ihres Reichtums und Vermögens beeinflussen, sondern auch die Höhe und Zusammensetzung von Vermögen zum Teil bedingen. Es ist mein Anliegen, die genderhistorische Perspektive nicht nur auf die Bildung von Vermögen anzuwenden, sondern bis zum völligen Verlust desselben durch Vermögensentzug im Nationalsozialismus weiterzudenken. Aus quellenkritischer Sicht stellt dies eine Herausforderung dar, denn es müssen hierzu dieselben Quellen herangezogen werden, wie sie für die Erforschung des NS-Vermögensentzuges vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Forderung nach Restitution und Entschädigung verwendet werden. Ingo Loose wies vor 14 Jahren darauf hin, dass eine Beschäftigung mit der ökonomischen Position