{"title":"Moränen versus Till: Empfehlungen für die Beschreibung, Interpretation und Klassifikation glazialer Landformen und Sedimente","authors":"Sven Lukas, Henrik Rother","doi":"10.3285/EG.65.2.01","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Abstract. Die glazialgeomorphologische und -sedimentologische Terminologie hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten international eine starke Weiterentwicklung erfahren und die Nutzung der Begrifflichkeiten folgt seit geraumer Zeit einheitlichen Richtlinien. Grundsatzlich ist bei der Aufnahme glazialer Ablagerungen auf eine saubere Trennung zwischen Beschreibung und Interpretation zu achten, insbesondere sollten geomorphologische Begrifflichkeiten stets klar von sedimentaren Prozessen und den sedimentaren Produkten unterschieden werden, um eine terminologisch-interpretative Vermengung von Form (Landform) und Inhalt (Sediment) zu vermeiden. Glaziale Sedimente sollten zunachst ausschlieslich aufgrund ihrer lithofaziellen Eigenschaften und unter Nutzung strikt lithologischer Begriffe (wie Diamikton, schraggeschichtete Sande, laminierte Schluffe etc.) beschrieben werden. Erst im nachsten Schritt, und nach eingehender Untersuchung, sollten genetische Begriffe (wie Till, Schmelzwassersande, glaziolimnische1 Warvensedimente etc.) zur Interpretation der zuvor beschriebenen Einheiten genutzt werden. Die empfohlene Trennung glazialgeomorphologischer und -sedimentarer Begriffe ist bis heute im deutschsprachigen Raum nicht immer gewahrleistet. Dies betrifft v.a. den Begriff der ‚Morane‘, der einerseits als sedimentare Sammelbezeichnung fur glaziale Ablagerungen verschiedenster Herkunft dient (z.B. ,Moranenmaterial‘), anderseits aber auch den durch den Gletscher aktuell transportierten Gesteinsschutt beschreibt (z.B. ‚Obermorane‘). Desweiteren wird der Moranenbegriff gleichermasen sowohl fur die Ansprache glazialer Landformen (z.B. Endmorane) als auch fur die Beschreibung von Eigenschaften des Geschiebespektrums genutzt (z.B. Lokalmorane). Diese Praxis fuhrt nicht nur bei Einsteigern zu Verwirrungen, sondern erschwert auch die Verstandigung unter Fachleuten, da diese multifunktionale Nutzung des Moranenbegriffs international seit geraumer Zeit nicht mehr ublich ist. Weitere terminologische Probleme ergeben sich aus den voneinander abweichenden Nomenklaturansatzen, die innerhalb der verschiedenen deutschsprachigen Staaten im Gebrauch sind, sowie der Praxis, dass z.B. in Deutschland quartargeologische Aufnahmen in den Aufgabenbereich der einzelnen Bundeslander fallen und damit eigene begriffliche Traditionen fortbestehen.\n Der vorliegende Artikel hat das Ziel, einen systematischen Uberblick uber die Genese glazialer Sedimente zu liefern und Empfehlungen fur die zukunftige Beschreibung, Benennung und Interpretation solcher Sedimente in der deutschsprachigen Literatur zu liefern, die den internationalen Definitionen entsprechen. Der Begriff ‚Morane‘, einschlieslich der Variante ‚Grundmorane‘, sollte fortan lediglich fur die Einordnung glazialer Landformen bzw. Landformenvergesellschaftungen verwendet werden, jedoch nicht fur die Ansprache glazialer Sedimente. Letztere sollten kunftig erst nach genauerer lithologischer Beschreibung und nach den hier definierten diagnostischen Kriterien benannt und geogenetisch interpretiert werden. Die in diesem Artikel prasentierte Zusammenstellung der wichtigsten Kriterien fur eine sichere Unterscheidung diverser glazialer Diamikte richtet sich nach dem aktuellen internationalen Forschungsstand. Danach wird ein primarer Till als ein ausschlieslich subglaziales und durch direkte Ablagerung vom Eis gebildetes Sediment definiert. Ein solcher in der ‚Traktionszone‘ eines basal gleitenden Gletschers entstandener Till wird als ‚subglazialer Traktionstill‘ (engl. subglacial traction till) bezeichnet. Traktionstills sind von gletscheruberfahrenen pra-existenten Sedimenten (z.B. deformierte Schmelzwassersande) zu unterschieden, welche kunftig als ‚Glaziotektonit‘ (engl. glaciotectonite) angesprochen werden sollten und nicht zu den primaren Tills sensu stricto gerechnet werden. Eine Weiterverwendung der alteren, stark prozessspezifisch gepragten Till-Begriffe wie Lodgement till und Deformation till ist nach aktuellem Forschungsstand nicht mehr sinnvoll, da zwischen beiden Tilltypen in der Realitat ein genetisches Prozesskontinuum besteht und keine gesicherten diagnostischen Kriterien fur eine zuverlassige Einzelansprache im Gelande vorliegen.\n Andere diamiktische Sedimente, die haufig in glazialen Ablagerungsraumen auftreten und meist supra- bzw. proglazialer Herkunft sind, sollten nicht als Till, sondern nach dem jeweils dominanten Ablagerungsprozess benannt werden (z.B. Schlammstrom(-ablagerung), debris flow (deposit); Abtropfdiamikt, dropstone diamict). Unter Anwendung dieser Kriterien stellen die Autoren fest, dass subglazial gebildeter Till weit weniger verbreitet ist als bislang angenommen. Vor allem glaziale Landformen wie Endmoranen enthalten bei genauer Betrachtung nur selten grosere Anteile primarer glaziale Sedimente (Till). Stattdessen setzen sie sich zumeist aus einer Vielzahl verschiedenartiger und deformierter Sedimente zusammen, die im ehemaligen Gletschervorfeld abgelagert und im Zuge eines Vorstoses zusammengestaucht wurden.","PeriodicalId":227489,"journal":{"name":"EG Quaternary Science Journal","volume":"65 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0000,"publicationDate":"2016-09-22","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"6","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"EG Quaternary Science Journal","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.3285/EG.65.2.01","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"","JCRName":"","Score":null,"Total":0}
引用次数: 6
Abstract
Abstract. Die glazialgeomorphologische und -sedimentologische Terminologie hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten international eine starke Weiterentwicklung erfahren und die Nutzung der Begrifflichkeiten folgt seit geraumer Zeit einheitlichen Richtlinien. Grundsatzlich ist bei der Aufnahme glazialer Ablagerungen auf eine saubere Trennung zwischen Beschreibung und Interpretation zu achten, insbesondere sollten geomorphologische Begrifflichkeiten stets klar von sedimentaren Prozessen und den sedimentaren Produkten unterschieden werden, um eine terminologisch-interpretative Vermengung von Form (Landform) und Inhalt (Sediment) zu vermeiden. Glaziale Sedimente sollten zunachst ausschlieslich aufgrund ihrer lithofaziellen Eigenschaften und unter Nutzung strikt lithologischer Begriffe (wie Diamikton, schraggeschichtete Sande, laminierte Schluffe etc.) beschrieben werden. Erst im nachsten Schritt, und nach eingehender Untersuchung, sollten genetische Begriffe (wie Till, Schmelzwassersande, glaziolimnische1 Warvensedimente etc.) zur Interpretation der zuvor beschriebenen Einheiten genutzt werden. Die empfohlene Trennung glazialgeomorphologischer und -sedimentarer Begriffe ist bis heute im deutschsprachigen Raum nicht immer gewahrleistet. Dies betrifft v.a. den Begriff der ‚Morane‘, der einerseits als sedimentare Sammelbezeichnung fur glaziale Ablagerungen verschiedenster Herkunft dient (z.B. ,Moranenmaterial‘), anderseits aber auch den durch den Gletscher aktuell transportierten Gesteinsschutt beschreibt (z.B. ‚Obermorane‘). Desweiteren wird der Moranenbegriff gleichermasen sowohl fur die Ansprache glazialer Landformen (z.B. Endmorane) als auch fur die Beschreibung von Eigenschaften des Geschiebespektrums genutzt (z.B. Lokalmorane). Diese Praxis fuhrt nicht nur bei Einsteigern zu Verwirrungen, sondern erschwert auch die Verstandigung unter Fachleuten, da diese multifunktionale Nutzung des Moranenbegriffs international seit geraumer Zeit nicht mehr ublich ist. Weitere terminologische Probleme ergeben sich aus den voneinander abweichenden Nomenklaturansatzen, die innerhalb der verschiedenen deutschsprachigen Staaten im Gebrauch sind, sowie der Praxis, dass z.B. in Deutschland quartargeologische Aufnahmen in den Aufgabenbereich der einzelnen Bundeslander fallen und damit eigene begriffliche Traditionen fortbestehen.
Der vorliegende Artikel hat das Ziel, einen systematischen Uberblick uber die Genese glazialer Sedimente zu liefern und Empfehlungen fur die zukunftige Beschreibung, Benennung und Interpretation solcher Sedimente in der deutschsprachigen Literatur zu liefern, die den internationalen Definitionen entsprechen. Der Begriff ‚Morane‘, einschlieslich der Variante ‚Grundmorane‘, sollte fortan lediglich fur die Einordnung glazialer Landformen bzw. Landformenvergesellschaftungen verwendet werden, jedoch nicht fur die Ansprache glazialer Sedimente. Letztere sollten kunftig erst nach genauerer lithologischer Beschreibung und nach den hier definierten diagnostischen Kriterien benannt und geogenetisch interpretiert werden. Die in diesem Artikel prasentierte Zusammenstellung der wichtigsten Kriterien fur eine sichere Unterscheidung diverser glazialer Diamikte richtet sich nach dem aktuellen internationalen Forschungsstand. Danach wird ein primarer Till als ein ausschlieslich subglaziales und durch direkte Ablagerung vom Eis gebildetes Sediment definiert. Ein solcher in der ‚Traktionszone‘ eines basal gleitenden Gletschers entstandener Till wird als ‚subglazialer Traktionstill‘ (engl. subglacial traction till) bezeichnet. Traktionstills sind von gletscheruberfahrenen pra-existenten Sedimenten (z.B. deformierte Schmelzwassersande) zu unterschieden, welche kunftig als ‚Glaziotektonit‘ (engl. glaciotectonite) angesprochen werden sollten und nicht zu den primaren Tills sensu stricto gerechnet werden. Eine Weiterverwendung der alteren, stark prozessspezifisch gepragten Till-Begriffe wie Lodgement till und Deformation till ist nach aktuellem Forschungsstand nicht mehr sinnvoll, da zwischen beiden Tilltypen in der Realitat ein genetisches Prozesskontinuum besteht und keine gesicherten diagnostischen Kriterien fur eine zuverlassige Einzelansprache im Gelande vorliegen.
Andere diamiktische Sedimente, die haufig in glazialen Ablagerungsraumen auftreten und meist supra- bzw. proglazialer Herkunft sind, sollten nicht als Till, sondern nach dem jeweils dominanten Ablagerungsprozess benannt werden (z.B. Schlammstrom(-ablagerung), debris flow (deposit); Abtropfdiamikt, dropstone diamict). Unter Anwendung dieser Kriterien stellen die Autoren fest, dass subglazial gebildeter Till weit weniger verbreitet ist als bislang angenommen. Vor allem glaziale Landformen wie Endmoranen enthalten bei genauer Betrachtung nur selten grosere Anteile primarer glaziale Sedimente (Till). Stattdessen setzen sie sich zumeist aus einer Vielzahl verschiedenartiger und deformierter Sedimente zusammen, die im ehemaligen Gletschervorfeld abgelagert und im Zuge eines Vorstoses zusammengestaucht wurden.