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Abstract
Das Leben der Arbeiter, das Friedrich Engels nach zahlreichen Besuchen der großen englischen Industriestädte Nach eigner Anschauung und authen tischen Quellen in den Jahren 1844 /45 beschreibt, ist nicht nur von einer extremen Armut gekennzeichnet, sondern auch von einer enormen Verdichtung. In London, Liverpool oder Manchester sind Arbeiterviertel entstanden, in denen Männer, Frauen und Kinder unter elenden Umständen gedrängt zusammenleben und dennoch vereinzelt und schutzlos sind. Oft hausen so viele Menschen in einer einzigen Wohnung, dass sie kaum genügend Platz zum Schlafen finden. Anstelle von Betten liegt dreckiges Stroh auf dem Boden, das sich die Bewohner mit ihren Nutztieren teilen. Auf den ungepflasterten Straßen ohne Abfluss befinden sich Unrat, Abfall und Kot. Die Häuser sind meist feucht und kaum belüftet. Nicht selten leben verwahrloste Menschen in Kellern mit wenig Tageslicht. In den Gassen herrschen Gewalt und Kriminalität. Und die Polizei kommt nur dann, wenn solche Krankheiten auszubrechen drohen, die auf die gesamte Stadt übergreifen könnten. Das bittere Resümee, das Engels an das Ende seiner Beschreibung der englischen Industriestädte gesetzt hat, kommt zu dem Schluss, dass in den Arbeiterwohnungen »keine Reinlichkeit, keine Bequemlichkeit, also auch keine Häuslichkeit möglich ist; daß in diesen Wohnungen nur eine entmenschte, degradierte, intellektuell und moralisch zur Bestialität herabgewürdigte, körperlich kränkliche Rasse sich behaglich und heimisch fühlen kann.« (MEW 2, 295) Auch wenn das umfangreiche Buch mit dem Titel Die Lage der arbeitenden Klasse in England (1845) auf staatliche Statistiken und medizinische Berichte zurückgreift, um den deutschen Lesern das Elend der neuen Lohnarbeiter vor Augen zu führen, handelt es sich in erster Linie um einen Reisebericht, der unfassbar schreckliche Zustände im Mutterland des Kapitalismus schildert, die in absehbarer Zeit den gesamten Kontinent heimsuchen werden. Der literarische Abstieg in die Unterwelt der politischen Ökonomie erzählt nicht von einer weit entfernten, exotischen Insel, sondern von den neuen Barbaren der bürgerlichen Gesellschaft. Die Stadt, die seit ihrer philosophischen Aufwertung in der Antike als Zone der Zivilisation gilt, ist zur modernen Hölle geworden. In dieser herrscht eine gnadenlose Konkurrenz. Die bornierte Selbstsucht,