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Abstract
Introspektion ist im akademischen Arbeiten oft notwendig, nicht nur in Bezug auf die Gegenstände des Denkens, sondern auch auf die Art und Weise, in der intellektuelle Arbeit geleistet wird. Dies wird typischerweise mit dem Begriff der Methodologie beschrieben. Die genaue Bedeutung von Methodologie ist jedoch nicht immer klar, insbesondere innerhalb der sogenannten Theoriedisziplinen, zu denen Marxismus, Feminismus, Poststrukturalismus, Psychoanalyse und andere verwandte Felder zählen. Manche bevorzugen die eigennützige und in gewissem Sinne ignorante Überzeugung, dass Theorie und Methodologie im Grunde ein und dasselbe seien. ›Theoriearbeit‹ würde daher die komplizierte Aufgabe methodologischer Introspektion vorwegnehmen und diese hinfällig machen. Warum von Methode sprechen, wenn Theorie ohnehin nichts als Methode ist? Warum sich um andere Aufgaben sorgen, wenn doch Theorie Trumpf ist? Die Realität der akademischen Welt widerspricht jedoch solch oberflächlichen Schlussfolgerungen. Tatsächlich wimmelt es auf den Gängen der Universitäten nur so von verschiedenen Forschungsmethoden: von der positivistischen Zweckmäßigkeit quantitativer Untersuchungen, über die Inszenierung ethnographischer Befragungen und die narrativen Reduktionen von Historiografie, bis hin zu den verschiedenen instrumentalisierten Strömungen der Hermeneutik durch marxistische, feministische oder psychoanalytische Lesarten. Mit anderen Worten wird Methodologie heute eindeutig frei verwendet. Für jeden Geschmack gibt es die passende Methode, für jede Vorliebe eine passende Nische. Um heutzutage erfolgreich zu sein, müssen Studierende oder Forschende die vielen möglichen Optionen verinnerlichen und der jeweils aktuellen Aufgabe entsprechend anwenden; diese Methode für jenes Problem, gefolgt von einer anderen für das nächste. In diesem Sinne scheint Methodologie heute oft mehr eine Frage der Angemessenheit als der existenziellen Entsprechung, mehr eine Frage des persönlichen Stils als des universellen Kontextes, mehr eine Frage des Pragmatismus als der unerschütterlichen Überzeugung zu sein. Doch ›Angemessenheit‹ ist eine heikle Sache und in Geschmacksfragen stimmen selten alle überein. So verwandeln sich viele methodologische Debatten in eine Art Popularitätswettbewerb. Wer setzt sich für welche Methode ein – und mit welcher Absicht? Welches allgemeine Konzept schlägt alle anderen? Ist es Gender oder ist es Klasse, logos, das Archiv, der Blick oder die Begierde, das Spiel, der Exzess, Singularität, Widerstand oder vielleicht das Leben selbst, das die eine methodologische Formation in einer triumphierenden Kritik über alle anderen erhebt (die alle zukünftige Kritik verbietet)?