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Abstract
Im Titel dieses Bandes wird ein Zustand »nach der Kulturgeschichte« beschworen. Abhängig davon, in welchem akademischen Milieu man (oft mehr oder minder zufällig) sozialisiert wurde, wird man diesen Titel als wirklichkeitsferne Anmaßung oder als frommen Wunsch empfinden oder man versteht einfach die ganze Aufregung nicht und wendet sich schulterzuckend ab. Eines ist der Titel »nach der Kulturgeschichte« meines Erachtens aber nicht: eine Tatsachenbeschreibung vom Zustand der Literaturwissenschaften. Kulturwissenschaftlich ausgerichtete Literaturforschung ist institutionell fest verankert, durch entsprechend denominierte Lehrstühle, Zeitschriften, Drittmittelprojekte und ganze Institute. Sie ist institutionell vielleicht sogar fester verankert, als andere Paradigmen es jemals waren. Wenn im Folgenden daher das Modell eines ideengeschichtlichen Zugriffs auf literarische Texte konturiert wird, dann verbindet sich damit kein ›postistischer‹ Ersetzungsanspruch, keine Aufhebungsphantasie in Bezug auf kulturwissenschaftliche Literaturwissenschaft, sondern lediglich die Überzeugung, dass auch eine ideengeschichtliche Kontextualisierung literarischer Texte kaum ersetzbare Erklärungspotentiale besitzt. Dies gilt insbesondere für die Literatur einer als Makroepoche verstandenen ästhetischen Moderne, die seit dem späten 18. Jahrhundert unter dem Schlagwort ›Autonomie‹ für Kunst einen eigenständigen Modus der Wirklichkeitsbeobachtung reklamiert. Zu den Grundzügen dieser modernen Literatur gehört die Überzeugung vom Selbstzweck, vom »monarchische[n] Zug« des Kunstwerks, das nur nach seinen eigenen Gesetzen beurteilt sein will. Um ihre Autonomie nicht zu gefährden, übersetzen moderne Kunstwerke daher in der Regel nicht einfach Theoriegebäude, Diskursformationen oder Wissensbestände in ästhetische Strukturen. Außerliterarische Theorien, Diskurse oder Wissensbestände haben für moderne Dichter vielfach primär Anregungscharakter, sind als Kontexte von Literatur eher in verkürzter, ausschnitthafter oder verdichte-