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Abstract
Um das sich verändernde Verhältnis Europas zu den Amerikas im Norden und den Amerikas im Süden genauer untersuchen und um philosophisch-literarische Entwicklungen daraus ableiten zu können, ist es sicherlich angebracht, bevorzugt auf Reiseberichte aus jenem Zeitraum zurückzugreifen, den wir mit Gertrudis Gómez de Avellaneda erreicht haben. In der Sattelzeit des langen 19. Jahrhunderts war, wie im einführenden Teil dieser Vorlesung besprochen, der Topos der „Historia magistra vitae“ bekanntlich abgelöst worden von einem offenen, zukunftsorientierten Zeithorizont, der die Zyklen früherer geschichtlicher Vorstellungen teilweise relativierte, teilweise hinter sich ließ.1 Innerhalb einer derart gewandelten Zeitvorstellung wurde auch das Reisen durch die Zeit vermittels eines Reisens durch den Raum möglich, konnten doch an einem anderen Ort gleichsam die früheren Zustandsformen der allgemeinen Entwicklung der Menschheit – so schien es – besichtigt werden, zumindest dann, wenn man von der einsträngigen und linearen Geschichte einer einzigen Menschheit ausging. Und eine solche Vorstellung mit dem europäischen Teil der Menschheit an der Spitze des Fortschritts dominierte in allen Ländern Europas. So versuchte bereits in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts Jean-Baptiste Du Tertre2 insbesondere in seiner vierbändigen Histoire générale des Antilles habitées par les François (1667–1671), seinen Überlegungen zum „bon sauvage“, Erkenntnisse über die Entwicklung des Menschengeschlechts ausgehend von Beobachtungen in der Fremde zu gewinnen. So wurde es bereits in einer frühen Form neuzeitlichen Denkens möglich, Wissen über die Vorgeschichte des Eigenen durch eine Art rückwärtsgerichtete Zeitreise zu erhalten, sich mithin auf der Zeitskala der allgemeinen Geschichte der Menschheit vermittels gezielter Reisen zu bewegen. Im Anschluss an den Pater Fritz und andere intertextuelle Bezugstexte entfaltete der uns bereits bekannte Kubaner Alejo Carpentier dieses Modell einer Zeitreise in den Tropen der Amerikas in seinem großartigen Roman Los pasos perdidos. Dort gelingt es einem Musikologen, die Spuren in eine längst vergangene Epoche der Menschheitsgeschichte in der Jetztzeit aufzunehmen und durch eine Bewegung im Raum die gezielte Bewegung in der Zeit auszulösen. Noch in Claude