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Abstract
Kastraten wurden im 17. und 18. Jahrhundert als Sängerstars vergöttert und zugleich als Entmannte verlacht. Sie reisten kreuz und quer durch Europa und hatten glanzvolle Auftritte, die sie sich teuer bezahlen ließen. Um ihr Leben ranken sich Anekdoten und Berichte, die aber nur selten ein vollständiges biographisches Bild ergeben. Eine Ausnahme bildet Filippo Balatri (1682–1756). Er hielt sein zunächst keineswegs »selbstbestimmtes« Leben in Reisetagebüchern fest und publizierte Memoiren, die er in die Form eines Versepos fasste. Diese Frutti del mondo lehnen sich in den ersten Zeilen an die großen Epen Homers und Vergils an: »Ich besinge den Kapitän unter den Sopranen / Der die Musik in fremde Länder brachte / Und tue das nur um allen zu zeigen / Wie verrückt Du, oh Welt, bist.« Die Vers-Dichtung kompiliert in bunter Mischung Erlebnisse und persönliche Reflexionen zu einem Weltfrüchte-Bild, das einem Schelmenroman entstammen könnte. Balatri wurde In der Nähe von Pisa geboren. Kurz nach der Kastration trat er in die Dienste des Großherzogs Cosimo III. de’ Medici, der ihn ausbilden ließ. 1691 kam ein Gesandter des Zaren Peter I. »des Großen« nach Florenz mit dem Auftrag, Sänger für den Moskauer Hof anzuwerben. Keiner wollte mitkommen, alle fürchteten die Kälte und Dunkelheit des fernen Landes. Schließlich bot Cosimo den 14-jährigen Balatri als Leihgabe an. Dem Sänger, der seine Ausbildung noch nicht abgeschlossen hatte, machte er die Auflage, über alle seine Erlebnisse penibel Buch zu führen. Während des zehnjährigen Aufenthalts in Russland perfektionierte Balatri die Gesangstechnik, erlangte die Wertschätzung des Zaren und erhebliches öffentliches Ansehen. Allerdings fiel es ihm Thema