{"title":"Die Literatur: Eine ungewöhnliche Empirie des Ökonomischen für die Wirtschaftsethik","authors":"B. Priddat","doi":"10.5771/1439-880x-2020-3-364","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Es ist erstaunlich, dass es über das ökonomische Verhalten zwar entscheidungsanalytische Theorien gibt, aber nur wenige, die die Verwobenheit der kognitiven Entscheidungen mit anderen Gemütslagen, Affekten, Emotionen, dem Unbewussten etc. erschließen. Am erstaunlichsten ist es aber, dass es die Literatur gibt, in der nicht nur das Gemütsleben der Akteure in reichen Formen vorkommt, sondern auch die Verknüpfung von Moral und Ökonomie (wo die Literatur ins Ökonomische hineinragt). Deshalb ist es für eine Wirtschaftsethik – gleich welcher Couleur – aufschlussreich, sich in die breiten Spektren der Relation von Ökonomie und Literatur zu begeben. Diese Spektren beleuchtet jetzt ein Handbuch, das die unterschiedlichen Relationen umfassend aufbereitet (vgl. Vogl/Wolf 20201). Wobei wiederum aufschlussreich und neu ist, dass wir es wesentlich mit kulturtheoretischen Decodierungen zu tun haben – eine Dimension, die weder in der Ökonomie noch in der Moral besonders entfaltet wird. Wir bekommen es mit neuen Relationierungen zu tun. Natürlich ist die Empirie, die die Literatur darstellt, fingiert, aber in ihrer Vielschichtigkeit stellt sie eine einzigartige Ressource dar: Nur selten gibt es das für die Ökonomie oder die Moral (Ausnahmen stellen die französischen Moralisten dar, etwa François de La Rochefoucauld oder Luc de Vauvenargues (vgl. Schalk 1980) sowie die Philosophin Anne Defourmantelle). In ihrer Distanz mag es der Ökonomie prima facie berechtigt erscheinen, die Literatur fremd zu finden, weil die Ökonomie eine Wissenschaft der rationalen Entscheidungen optimaler Versorgungszustände ist. Aber sie entdeckt gerade selber, dass das, was sie normativ als ›rational action‹ unterstellt, nicht zureichend zu erklären vermag, wie Wirtschaftsakteure tatsächlich handeln. In den ›behaviourial economics‹ beginnt sie, eine neue Empirie des Verhaltens zu erschließen. Hier lässt sich die Literatur – quasi empirisch – einklinken. Dabei kommt es nicht so sehr darauf an, wie Romanautor*innen die Wirtschaft oder gar die Ökonomik verstehen. Es geht um die andere Seite der Medaille – um das, was die Ökonomik ausblendet, um das Involviertsein der Figuren in Prozesse, Netze, Ereignisse und Geschichten. Ich nenne diese Dimension Nexus: das Ökonomische, wenn es in der","PeriodicalId":156446,"journal":{"name":"Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik","volume":"13 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0000,"publicationDate":"2020-12-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.5771/1439-880x-2020-3-364","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"","JCRName":"","Score":null,"Total":0}
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Abstract
Es ist erstaunlich, dass es über das ökonomische Verhalten zwar entscheidungsanalytische Theorien gibt, aber nur wenige, die die Verwobenheit der kognitiven Entscheidungen mit anderen Gemütslagen, Affekten, Emotionen, dem Unbewussten etc. erschließen. Am erstaunlichsten ist es aber, dass es die Literatur gibt, in der nicht nur das Gemütsleben der Akteure in reichen Formen vorkommt, sondern auch die Verknüpfung von Moral und Ökonomie (wo die Literatur ins Ökonomische hineinragt). Deshalb ist es für eine Wirtschaftsethik – gleich welcher Couleur – aufschlussreich, sich in die breiten Spektren der Relation von Ökonomie und Literatur zu begeben. Diese Spektren beleuchtet jetzt ein Handbuch, das die unterschiedlichen Relationen umfassend aufbereitet (vgl. Vogl/Wolf 20201). Wobei wiederum aufschlussreich und neu ist, dass wir es wesentlich mit kulturtheoretischen Decodierungen zu tun haben – eine Dimension, die weder in der Ökonomie noch in der Moral besonders entfaltet wird. Wir bekommen es mit neuen Relationierungen zu tun. Natürlich ist die Empirie, die die Literatur darstellt, fingiert, aber in ihrer Vielschichtigkeit stellt sie eine einzigartige Ressource dar: Nur selten gibt es das für die Ökonomie oder die Moral (Ausnahmen stellen die französischen Moralisten dar, etwa François de La Rochefoucauld oder Luc de Vauvenargues (vgl. Schalk 1980) sowie die Philosophin Anne Defourmantelle). In ihrer Distanz mag es der Ökonomie prima facie berechtigt erscheinen, die Literatur fremd zu finden, weil die Ökonomie eine Wissenschaft der rationalen Entscheidungen optimaler Versorgungszustände ist. Aber sie entdeckt gerade selber, dass das, was sie normativ als ›rational action‹ unterstellt, nicht zureichend zu erklären vermag, wie Wirtschaftsakteure tatsächlich handeln. In den ›behaviourial economics‹ beginnt sie, eine neue Empirie des Verhaltens zu erschließen. Hier lässt sich die Literatur – quasi empirisch – einklinken. Dabei kommt es nicht so sehr darauf an, wie Romanautor*innen die Wirtschaft oder gar die Ökonomik verstehen. Es geht um die andere Seite der Medaille – um das, was die Ökonomik ausblendet, um das Involviertsein der Figuren in Prozesse, Netze, Ereignisse und Geschichten. Ich nenne diese Dimension Nexus: das Ökonomische, wenn es in der