{"title":"25. Die multiethnische und multireligiöse Krim unter zarischer Herrschaft: ‚Alte‘ und ‚neue‘ BewohnerInnen – die wirtschaftliche Entwicklung","authors":"","doi":"10.1515/9783110520620-027","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Die zwischen 1816 und 1820 auf der Krim lebende Engländerin Mary Holderness beschrieb die griechischen KrimbewohnerInnen als streitsüchtig („litigious“), sparsam und auf Gewinn bedacht; sie seien aber auch „respectable merchants“ und zeichneten sich durch die strikte Befolgung ihrer Glaubensregeln aus.2 Die englische Kolonistin kam insgesamt zu einem ambivalenten Urteil über die krimgriechische Bevölkerung, den Nachfahren der hellenischen Kolonisten (vgl. Kapitel 3), die sich bereits in vorchristlicher Zeit am nördlichen Schwarzmeerufer angesiedelt hatten und über die Jahrtausende in einen wechselhaften Austauschprozess mit den vielen die Krim berührenden Völkerschaften getreten waren. Wenn man sich den gesamteuropäischen Kontext der Zeit vor Augen führt, schrieb Holderness damit vorsichtig gegen die Mehrheitsmeinung der europäischen Eliten an, erfreuten sich Griechen bei diesen doch einer besonderen, zum Teil geradezu enthusiastischen Sympathie: Der seit 1821 und bis in die 1830er Jahre ausgefochtene griechische Unabhängigkeitskrieg gegen das Osmanische Reich3 hatte unter Intellektuellen eine regelrechte Griechen-Begeisterung ausgelöst, welche sich nicht nur politisch und intellektuell, sondern auch ästhetisch in Kunst und Literatur ausdrückte.4 Viele suchten und fanden – wie Goethes „Iphigenie auf Tauris“ (vgl. Kapitel 2) zeigt – „[d]as Land der Griechen mit der Seele suchend“ auch auf der Krim. Der Philhellenismus speiste sich nicht allein aus der Begeisterung für die ‚alten Griechen‘ und ihre kulturellen Errungenschaften, sondern hatte auch eine aktuelle, antiosmanische Komponente. Diese ist sogar noch im russischsprachigen Wikipedia-Eintrag zum Lemma „Philhelle-","PeriodicalId":354298,"journal":{"name":"Geschichte der Krim","volume":"10 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0000,"publicationDate":"2020-06-08","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Geschichte der Krim","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.1515/9783110520620-027","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"","JCRName":"","Score":null,"Total":0}
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Abstract
Die zwischen 1816 und 1820 auf der Krim lebende Engländerin Mary Holderness beschrieb die griechischen KrimbewohnerInnen als streitsüchtig („litigious“), sparsam und auf Gewinn bedacht; sie seien aber auch „respectable merchants“ und zeichneten sich durch die strikte Befolgung ihrer Glaubensregeln aus.2 Die englische Kolonistin kam insgesamt zu einem ambivalenten Urteil über die krimgriechische Bevölkerung, den Nachfahren der hellenischen Kolonisten (vgl. Kapitel 3), die sich bereits in vorchristlicher Zeit am nördlichen Schwarzmeerufer angesiedelt hatten und über die Jahrtausende in einen wechselhaften Austauschprozess mit den vielen die Krim berührenden Völkerschaften getreten waren. Wenn man sich den gesamteuropäischen Kontext der Zeit vor Augen führt, schrieb Holderness damit vorsichtig gegen die Mehrheitsmeinung der europäischen Eliten an, erfreuten sich Griechen bei diesen doch einer besonderen, zum Teil geradezu enthusiastischen Sympathie: Der seit 1821 und bis in die 1830er Jahre ausgefochtene griechische Unabhängigkeitskrieg gegen das Osmanische Reich3 hatte unter Intellektuellen eine regelrechte Griechen-Begeisterung ausgelöst, welche sich nicht nur politisch und intellektuell, sondern auch ästhetisch in Kunst und Literatur ausdrückte.4 Viele suchten und fanden – wie Goethes „Iphigenie auf Tauris“ (vgl. Kapitel 2) zeigt – „[d]as Land der Griechen mit der Seele suchend“ auch auf der Krim. Der Philhellenismus speiste sich nicht allein aus der Begeisterung für die ‚alten Griechen‘ und ihre kulturellen Errungenschaften, sondern hatte auch eine aktuelle, antiosmanische Komponente. Diese ist sogar noch im russischsprachigen Wikipedia-Eintrag zum Lemma „Philhelle-