{"title":",,Zwischen den träumenden Blaubasaltfelsen”: Geopoesien bei Peter Kurzeck, Thomas Hettche, Peter Handke und Christoph Ransmayr","authors":"Erika Schellenberger-Diederich","doi":"10.3726/1405_25","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"In seinem dritten Roman Kein Frühling (1987) lässt Peter Kurzeck (1943-2013) im 15. Kapitel einen Sonderling auftreten, wobei der Ich-Erzähler gleich selbst in dessen Rolle schlüpft: ,,Bei uns im Dorf. […] Als Kaufmann hierorts im Hausrock aus Plüsch\n am buntverglasten Kontorfenster stehen, Weihrauch brennen, immer wieder die Sanduhr umdrehen“ (KF 206). Dieser aus der Zeit gefallene Kaufmann kommt daher wie ein Sandmann oder Zauberer und blickt durch seine fast dreihundert Jahre alten bunten Schaufensterscheiben wie durch ein\n Kaleidoskop in die Welt. Er schaut der Dämmerung zu, raucht ,,brasilianische Stumpen […]. Mit einer Bernsteinspitze aus Riga“, träumt ,,Mit schweren Lidern“, räsoniert über die Zeitläufte, umräuchert sich sehr geheimnisvoll und behält dabei\n den ,,Portwein in seiner Karaffe da in der Vitrine“ (KF 206) fest im Blick. Das durchsichtige Gefäß mit dem dunkelroten Alkohol mutet in dieser Umgebung, im Vexierspiegel des Glasschrankes, wie ein großer, leuchtender Karfunkel an: Der Dorfladen wird sogleich\n zum Ort magischer Verwandlung. Eine Szenerie, wie geschaffen für poetische Zeitreisen und die zu stellende entscheidende Frage nach Zeit- und Weltalter, in das sich einzuordnen, offenbar (geo)philosophischer Geist, vielleicht Religion oder Spiritualität, aber zumindest Märchenglaube\n gehören: ,,Seit wieviel Tausend Jahren kommt den Menschen schon vor, daß die Erde jung war in ihrer Kindheit?“ (KF 206), so denkt der Mann im Plüschmantel weiter; auf seine Sanduhr werden wir noch zu sprechen kommen.","PeriodicalId":280788,"journal":{"name":"Literatur für Leser","volume":"36 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0000,"publicationDate":"2017-01-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Literatur für Leser","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.3726/1405_25","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"","JCRName":"","Score":null,"Total":0}
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Abstract
In seinem dritten Roman Kein Frühling (1987) lässt Peter Kurzeck (1943-2013) im 15. Kapitel einen Sonderling auftreten, wobei der Ich-Erzähler gleich selbst in dessen Rolle schlüpft: ,,Bei uns im Dorf. […] Als Kaufmann hierorts im Hausrock aus Plüsch
am buntverglasten Kontorfenster stehen, Weihrauch brennen, immer wieder die Sanduhr umdrehen“ (KF 206). Dieser aus der Zeit gefallene Kaufmann kommt daher wie ein Sandmann oder Zauberer und blickt durch seine fast dreihundert Jahre alten bunten Schaufensterscheiben wie durch ein
Kaleidoskop in die Welt. Er schaut der Dämmerung zu, raucht ,,brasilianische Stumpen […]. Mit einer Bernsteinspitze aus Riga“, träumt ,,Mit schweren Lidern“, räsoniert über die Zeitläufte, umräuchert sich sehr geheimnisvoll und behält dabei
den ,,Portwein in seiner Karaffe da in der Vitrine“ (KF 206) fest im Blick. Das durchsichtige Gefäß mit dem dunkelroten Alkohol mutet in dieser Umgebung, im Vexierspiegel des Glasschrankes, wie ein großer, leuchtender Karfunkel an: Der Dorfladen wird sogleich
zum Ort magischer Verwandlung. Eine Szenerie, wie geschaffen für poetische Zeitreisen und die zu stellende entscheidende Frage nach Zeit- und Weltalter, in das sich einzuordnen, offenbar (geo)philosophischer Geist, vielleicht Religion oder Spiritualität, aber zumindest Märchenglaube
gehören: ,,Seit wieviel Tausend Jahren kommt den Menschen schon vor, daß die Erde jung war in ihrer Kindheit?“ (KF 206), so denkt der Mann im Plüschmantel weiter; auf seine Sanduhr werden wir noch zu sprechen kommen.