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Abstract
Die modernen Gesellschaften stehen unter dem Primat der Arbeit. Die ständige Wiederkehr der Arbeit selbst bietet keine Freiheit, nur die Befreiung von der Arbeit – entweder zu Lasten Anderer oder in Form technologischer Anwendungen. Für Hannah Arendt konnte sich die Frage der Technologie noch alternierend zum Leben selbst darstellen. So schrieb sie in Vita activa (oder auf Englisch The Human Condition): » [...] die Gewalt, mit der ein Teil der Menschheit sich auf Kosten eines anderen von diesen natürlichen Bedingungen befreit, ist Werk des Menschen. Und so ist der wirkliche Preis, den die absolute Freiheit von der Notwendigkeit zu zahlen hat, in einem gewissen Sinn das Leben selbst, bzw. seine Lebendigkeit; der Preis, um den allein man der Last des Lebens ledig sein kann, ist, daß eine Art Ersatzleben zurückbleibt, ein künstliches Leben [...] «1 Hierin spiegeln sich zentrale Motive der Debatte zur Technologie: In welchem Verhältnis stehen Arbeit, Leben und Technologie zu Freiheit oder auch nur Befreiung, wie verhält sich der Ersatz zur Lebendigkeit? Dem Ersatz, in der Weise des Als-ob, geht jedoch ein Als voran, das Erscheinen von Technologie als solcher. Bernard Stiegler etwa fächert heute Arbeit, Leben und Technologie nicht wie Hannah Arendt alternierend auf, sondern geht durchaus zurück auf die anthropologische human condition, wie André Leroi-Gourhan sie Mitte der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts aufgezeigt hat.2 In dessen Studie Hand und Wort wird sehr anschaulich dargelegt, wie die Menschwerdung mit folgenden Faktoren einherging: Der aufrechte Gang bewirkte eine Veränderung des Skeletts, die erst die Veränderung des Schädels und die Ausbildung des menschlichen Gehirns ermöglichte. Diese Ausbildung zum homo sapiens ist unabdingbar verbunden mit der Gestaltung von Werkzeugen und manuellen Techniken. Das Werkzeug in der Hand eröffnet einen Zugang zur Welt, der eine Haltung dazu mit ausprägt. Während Leroi-Gourhan schließlich abseits der Technik die Frage menschlicher Spiritualität zu beantworten suchte, hält Stiegler weiterhin an dieser alleinigen Grundkonstellation fest: The