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Abstract
„Geschichte der Möglichkeiten" hat Carlo Ginzburg die historische Arbeitsweise von Natalie Zemon Davis genannt. Tatsächlich ist es die Sensibilität in der Haltung gegenüber der Vergangenheit und das Beharren auf der Vorläufigkeit unseres Wissens, die das Werk von Natalie Zemon Davis auszeichnen, ein Werk, in dem Geschichte nicht als Modell, sondern als Potential für die Zukunft verstanden wird. Ihr Name ist mit der Sozialgeschichte des frühneuzeitlichen Europa, mit den Paradigmen von Alltagsund Mentalitätsgeschichte verbunden. „Society and Culture in Early Modern France", ihr vielleicht wichtigstes Buch, erschien 1975. Natalie Davis lehrte an den Universitäten von Toronto, Berkley, an der Ecole des Hautes Etudes in Paris und ist seit mehr als15 Jahren Professorin für Geschichte an der Universiät von Princeton. Die American Historical Association hat in ihrer mehr als hundertjährigen Geschichte Davis 1987 als zweite Frau (nach Nellie Neilson 1943) zur Präsidentin gewählt. Dennoch begann die Rezeption ihres Werks im deutschsprachigen Raum relativ spät. Das Buch, das sie international bekannt gemacht hat, ist die Geschichte eines südfranzösischen Bauern aus dem Languedoc des 16. Jahrhunderts, der seine Familie verläßt, in den Krieg zieht und nach Jahren als ein anderer zurückkehrt. „Die wahrhaftige Geschichte der Wiederkehr des Martin Guerre" (frz. 1982, dt. 1984) ist ein Stück Geschichtsschreibung, das sich der zentralen Frage der Identität stellt. Das Spannungsverhältnis von Fiktivem und Faktischem wird hier mit „mikrogeschichtlicher" Genauigkeit anhand eines historischen „Falls" rekonstruiert. In sieben Sprachen übersetzt und 1982 von Daniel Vigne verfilmt, zählt die „Wiederkehr des Martin Guerre" heute zu den bemerkenswertesten Versuchen in der Geschichtswissenschaft, die Möglichkeiten und Grenzen des Narrativen in der Historie darzustellen. Die Amerikanerin Davis, 1928 in Detroit geboren, hat ihre Forschungen über lange Jahre hinweg auf die Region Lyon in Südfrankreich konzentriert. Ihre Texte sprechen von Handwerkern und Bauern, von rebellischen Frauen und Narren, von Ritualen der Gewalt, vom Karneval und religiösen Volksbräuchen. Es ist das existentielle Interesse an den Menschen, an ihren Handlungsspielräumen, den realisierten oder nicht realisierbaren Wünschen, das die Fragestellungen und die Methode von Natalie Zemon Davis strukturiert.