Transitland Italien: Jüdische Auswanderer aus der ehemaligen Sowjetunion erzählen von der Durchgangsstation Italien auf dem Weg nach Kanada, Österreich und in die USA
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Abstract
In der Flüchtlingskrise von 2015 standen die Türkei und Griechenland, die als Transitländer für Flüchtlinge insbesondere aus Syrien genutzt wurden, im Fokus der Medien. Doch auch Italien war und ist durch seine Lage am Mittelmeer weiterhin ein wichtiges Eingangstor nach Europa für Migranten aus Afrika. So konstatierte beispielsweise die Süddeutsche Zeitung am 9. Juni 2016, dass die „Strecke Libyen-Italien [...] wieder zur wichtigsten Fluchtroute nach Europa“ wird (S. 6).1 Es ist allerdings nicht das erste Mal in der jüngeren Vergangenheit, dass Italien ein wichtiger Drehpunkt für Migranten ist. Für zwei, relativ eng aufeinanderfolgende Auswanderungswellen sowjetischer bzw. post-sowjetischer Juden stellte Italien Ende des 20. Jahrhundert schon ein wichtiges Transitland dar, was seinen Niederschlag auch in der Literatur gefunden hat. Die Flugzeuge mit jüdischen Auswanderern konnten nämlich nicht direkt in den Westen fliegen, sondern landeten zuerst in Wien, da Österreich als blockfreier Staat fungierte. Diejenigen, die nicht nach Israel auswandern wollten, wurden dann nach Rom weitergeschickt, wo sie von jüdischen Hilfsorganisationen bis zur Ausreise betreut wurden.2 Diese Transiterfahrung in Italien hat auch literarisch ihren Niederschlag gefunden. Drei längere narrative Texte sollen in diesem Beitrag näher analysiert werden: neben dem auf Deutsch geschriebenen und autobiographisch gefärbten Roman von Vladimir Vertlib, Zwischenstationen (1999) der Roman The Free World (2011) des kanadischen Schriftstellers David Bezmozgis sowie Maxim Shrayers Erinnerungen Waiting for America (2007). Alle drei Autoren gehören zur selben Kohorte von jüdischen Auswanderern aus Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Sie thematisieren in ihren Texten die Auswirkung der Auswanderung und Transiterfahrung für die jüdische Identität. Dabei rekurrieren sie auf