{"title":"Erzählte Stillleben","authors":"Verena Russlies","doi":"10.1515/9783110716016-012","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":": Im Kontext aktueller Neufigurationen des Vanitas-Topos eruiert der Beitrag das Verhältnis von frühneuzeitlichen Vanitas-Stillleben und gegenwärtigen Erzähltexten. Anhand zweier Prosawerke von W. G. Sebald und Daniel Kehlmann wird untersucht, wie aus der Stilllebenmalerei stammende Verfahren der Vergänglichkeitsdarstellung in der Narration aufgegriffen werden, sei es als Text-Bild-Montage oder als Inszenierung der Motivik und eines Bildaufbaus in Worten. Vor dem Hintergrund eines naturwissenschaftlichen Weltbildes verweist die Aktualisierung der Verfahren eindrücklich auf den Determinismus durch Zeit. Die sich auflehnenden Gelehrtenfigu-ren beider Romane entwickeln in Kombination mit dem Erzählen von Stillleben zeit-diagnostisches Potenzial: Sie thematisieren eine (postmoderne) Melancholie, die mit der säkular-heillosen Erkenntnis der Vanitas in Verbindung steht. über das Urnen-Begräbnis, stehen die Jäger auf, wenn die Perser gerade eintauchen in den tiefsten Schlaf. Gleich einer Schleppe wird der Nachtschatten über die Erde gezogen, und da nach Sonnenuntergang fast alles von einem Weltgürtel zum nächsten sich niederlegt, so fährt er fort, könnte man, immer der untergehenden Sonne nachfolgend, die von uns bewohnte Kugel andauernd voller hingestreckter, wie von der Sense Saturns umgelegter und geernteter Leiber erblicken – einen endlos langen Kirchhof für eine fallsüchtige Menschheit. 44","PeriodicalId":415121,"journal":{"name":"Vanitas und Gesellschaft","volume":"66 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0000,"publicationDate":"2021-07-19","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Vanitas und Gesellschaft","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.1515/9783110716016-012","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"","JCRName":"","Score":null,"Total":0}
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Abstract
: Im Kontext aktueller Neufigurationen des Vanitas-Topos eruiert der Beitrag das Verhältnis von frühneuzeitlichen Vanitas-Stillleben und gegenwärtigen Erzähltexten. Anhand zweier Prosawerke von W. G. Sebald und Daniel Kehlmann wird untersucht, wie aus der Stilllebenmalerei stammende Verfahren der Vergänglichkeitsdarstellung in der Narration aufgegriffen werden, sei es als Text-Bild-Montage oder als Inszenierung der Motivik und eines Bildaufbaus in Worten. Vor dem Hintergrund eines naturwissenschaftlichen Weltbildes verweist die Aktualisierung der Verfahren eindrücklich auf den Determinismus durch Zeit. Die sich auflehnenden Gelehrtenfigu-ren beider Romane entwickeln in Kombination mit dem Erzählen von Stillleben zeit-diagnostisches Potenzial: Sie thematisieren eine (postmoderne) Melancholie, die mit der säkular-heillosen Erkenntnis der Vanitas in Verbindung steht. über das Urnen-Begräbnis, stehen die Jäger auf, wenn die Perser gerade eintauchen in den tiefsten Schlaf. Gleich einer Schleppe wird der Nachtschatten über die Erde gezogen, und da nach Sonnenuntergang fast alles von einem Weltgürtel zum nächsten sich niederlegt, so fährt er fort, könnte man, immer der untergehenden Sonne nachfolgend, die von uns bewohnte Kugel andauernd voller hingestreckter, wie von der Sense Saturns umgelegter und geernteter Leiber erblicken – einen endlos langen Kirchhof für eine fallsüchtige Menschheit. 44