Rückkehr zur Streitgeschichte? Anmerkungen zur „Resolution des Verbandes der Historiker und Historikerinnen Deutschlands zu gegenwärtigen Gefährdungen der Demokratie“
{"title":"Rückkehr zur Streitgeschichte? Anmerkungen zur „Resolution des Verbandes der Historiker und Historikerinnen Deutschlands zu gegenwärtigen Gefährdungen der Demokratie“","authors":"Gerrit Dworok","doi":"10.5771/9783845291345-215","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Der Mensch ist ein Zoon Politikon. Manch einer bezieht dieses politische Sein im aristotelischen, engeren Sinne auf die Rechte und Pflichten des Bürgers in der staatlichen Gemeinschaft. Andere weiten das Konzept aus: Alles sei politisch gemäß der Politik der ersten Person. Kompromissorientiert (und stark vereinfachend) ließe sich mit dem Duden festhalten: Der Mensch ist ein soziales, politisches Wesen. Welche Bedeutung hat diese Aussage in Bezug auf die bundesdeutsche Geschichtswissenschaft? Vor über dreißig Jahren, als in der Bundesrepublik der Historikerstreit tobte, stellte Christian Meier, damals Vorsitzender des Historikerverbandes, auf dem Historikertag zu Trier fest: Geschichte enthalte „so wichtige Bedingungen für jede Gegenwart [...], daß die Beschäftigung mit ihr dringend ist.“ Im Lichte der damaligen Kontroverse um die fachliche Interpretation und geschichtspolitische Bedeutung des Nationalsozialismus für die Bonner Republik fügte Meier hinzu: „Doch kann ein solcher Streit nicht nur wissenschaftlich, sondern er muß zugleich politisch sein [...] Streit belebt, klärt, bringt weiter [...] Streit ist also willkommen.“ Allerdings nur, wenn er auf die Sache bezogen und in direkter Auseinandersetzung stattfinde, nicht jedoch in vagen Stellungnahmen. Damit hatte er eine zentrale Schieflage im Historikerstreit benannt; denn dieser sei – nicht primär inhaltlich bedingt, sondern aufgrund selbstbezogener Kommunikation – zum geistigen Stellungskrieg zwischen linker und rechter Geschichtspolitik geraten.1 A.","PeriodicalId":135719,"journal":{"name":"Komplexität und Wahrheit","volume":"306 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0000,"publicationDate":"1900-01-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Komplexität und Wahrheit","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.5771/9783845291345-215","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"","JCRName":"","Score":null,"Total":0}
引用次数: 0
Abstract
Der Mensch ist ein Zoon Politikon. Manch einer bezieht dieses politische Sein im aristotelischen, engeren Sinne auf die Rechte und Pflichten des Bürgers in der staatlichen Gemeinschaft. Andere weiten das Konzept aus: Alles sei politisch gemäß der Politik der ersten Person. Kompromissorientiert (und stark vereinfachend) ließe sich mit dem Duden festhalten: Der Mensch ist ein soziales, politisches Wesen. Welche Bedeutung hat diese Aussage in Bezug auf die bundesdeutsche Geschichtswissenschaft? Vor über dreißig Jahren, als in der Bundesrepublik der Historikerstreit tobte, stellte Christian Meier, damals Vorsitzender des Historikerverbandes, auf dem Historikertag zu Trier fest: Geschichte enthalte „so wichtige Bedingungen für jede Gegenwart [...], daß die Beschäftigung mit ihr dringend ist.“ Im Lichte der damaligen Kontroverse um die fachliche Interpretation und geschichtspolitische Bedeutung des Nationalsozialismus für die Bonner Republik fügte Meier hinzu: „Doch kann ein solcher Streit nicht nur wissenschaftlich, sondern er muß zugleich politisch sein [...] Streit belebt, klärt, bringt weiter [...] Streit ist also willkommen.“ Allerdings nur, wenn er auf die Sache bezogen und in direkter Auseinandersetzung stattfinde, nicht jedoch in vagen Stellungnahmen. Damit hatte er eine zentrale Schieflage im Historikerstreit benannt; denn dieser sei – nicht primär inhaltlich bedingt, sondern aufgrund selbstbezogener Kommunikation – zum geistigen Stellungskrieg zwischen linker und rechter Geschichtspolitik geraten.1 A.