{"title":"Albert Cohen und seine avantgardistischen Erzählversuche","authors":"Albert K. Cohen","doi":"10.1515/9783110703450-015","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Bevor wir uns André Breton und der in gewisser Weise die vorherigen Entwicklungen krönenden avantgardistischen Bewegung des Surrealismus zuwenden, möchte ich Ihnen gerne – sozusagen als Geheimtipp – den Namen und auch einige wenige Textpassagen eines Autors mit auf den Weg geben, der hierzulande noch immer viel zu wenig bekannt ist. An dieser geringen Notorietät hat sich in den vergangenen Jahrzehnten leider nichts verändert, auch wenn sich in Deutschland einzelne Dissertationen um dieses große literarische Werk glänzend bemühten.1 Dies mag erstaunen, denn dieser Albert Cohen war immerhin ein Schriftsteller, dem zu Lebzeiten höchste literarische Ehren zuteilwurden und der zudem Kandidat für den Literaturnobelpreis war, eine Kandidatur, die übrigens vom damaligen französischen Staatspräsidenten François Mitterrand tatkräftig, aber letztlich erfolglos unterstützt worden war. Cohens Werke liegen bei Gallimard in den Editions de la Pléiade vor, welche die großen französischen Klassiker veröffentlichen und in gewisser Weise die „pierre tombale“, den Grabstein und zugleich die Konsekration eines literarischen Autors bedeuten. Dies war bei Albert Cohen im Übrigen bereits zu Lebzeiten der Fall, eine Tatsache, die nicht eben häufig im Hause Gallimard vorkommt. Sein Werk ist in viele Sprachen weltweit übersetzt, die großen Romane liegen selbstverständlich auch auf Deutsch vor. Ich bin überzeugt davon, dass die große Zeit eines Albert Cohen noch in der Zukunft liegt. Ein Grund für die derzeit mangelnde Bekanntheit Albert Cohens könnte freilich darin liegen, dass man diesen auf Korfu geborenen jüdischen Schriftsteller eben nicht so einfach klassifizieren kann. Man weiß also nicht, ob man ihn als Korfioten nationalliterarisch verorten muss, ob man ihn als Französisch schreibenden Autor in Frankreich oder der Frankophonie unterzubringen hat, ob man ihn als einen lange Jahre in der Schweiz lebenden Schriftsteller als einen Eidgenossen behandeln sollte. Oder ob man ihn, der niemals im Staate Israel lebte, gleichwohl aber viel für die Entstehung und Existenz dieses Landes tat, in erster Linie als jüdischen Autor rubrizieren muss. Und darf man ihn, dessen Werk sich über mehr als sechzig Jahre des 20. Jahrhunderts erstreckt, eher als ein Autor der ersten Jahrhunderthälfte oder aber – dank seiner großen Romanerfolge insbesondere um das Jahr 1968 – doch als einen Schriftsteller der zweiten Jahrhunderthälfte begreifen? Sie sehen: Da gibt es vieles, was den Literarhistorikern","PeriodicalId":427497,"journal":{"name":"Von den historischen Avantgarden bis nach der Postmoderne","volume":"311 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0000,"publicationDate":"2021-02-08","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Von den historischen Avantgarden bis nach der Postmoderne","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.1515/9783110703450-015","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"","JCRName":"","Score":null,"Total":0}
引用次数: 0
Abstract
Bevor wir uns André Breton und der in gewisser Weise die vorherigen Entwicklungen krönenden avantgardistischen Bewegung des Surrealismus zuwenden, möchte ich Ihnen gerne – sozusagen als Geheimtipp – den Namen und auch einige wenige Textpassagen eines Autors mit auf den Weg geben, der hierzulande noch immer viel zu wenig bekannt ist. An dieser geringen Notorietät hat sich in den vergangenen Jahrzehnten leider nichts verändert, auch wenn sich in Deutschland einzelne Dissertationen um dieses große literarische Werk glänzend bemühten.1 Dies mag erstaunen, denn dieser Albert Cohen war immerhin ein Schriftsteller, dem zu Lebzeiten höchste literarische Ehren zuteilwurden und der zudem Kandidat für den Literaturnobelpreis war, eine Kandidatur, die übrigens vom damaligen französischen Staatspräsidenten François Mitterrand tatkräftig, aber letztlich erfolglos unterstützt worden war. Cohens Werke liegen bei Gallimard in den Editions de la Pléiade vor, welche die großen französischen Klassiker veröffentlichen und in gewisser Weise die „pierre tombale“, den Grabstein und zugleich die Konsekration eines literarischen Autors bedeuten. Dies war bei Albert Cohen im Übrigen bereits zu Lebzeiten der Fall, eine Tatsache, die nicht eben häufig im Hause Gallimard vorkommt. Sein Werk ist in viele Sprachen weltweit übersetzt, die großen Romane liegen selbstverständlich auch auf Deutsch vor. Ich bin überzeugt davon, dass die große Zeit eines Albert Cohen noch in der Zukunft liegt. Ein Grund für die derzeit mangelnde Bekanntheit Albert Cohens könnte freilich darin liegen, dass man diesen auf Korfu geborenen jüdischen Schriftsteller eben nicht so einfach klassifizieren kann. Man weiß also nicht, ob man ihn als Korfioten nationalliterarisch verorten muss, ob man ihn als Französisch schreibenden Autor in Frankreich oder der Frankophonie unterzubringen hat, ob man ihn als einen lange Jahre in der Schweiz lebenden Schriftsteller als einen Eidgenossen behandeln sollte. Oder ob man ihn, der niemals im Staate Israel lebte, gleichwohl aber viel für die Entstehung und Existenz dieses Landes tat, in erster Linie als jüdischen Autor rubrizieren muss. Und darf man ihn, dessen Werk sich über mehr als sechzig Jahre des 20. Jahrhunderts erstreckt, eher als ein Autor der ersten Jahrhunderthälfte oder aber – dank seiner großen Romanerfolge insbesondere um das Jahr 1968 – doch als einen Schriftsteller der zweiten Jahrhunderthälfte begreifen? Sie sehen: Da gibt es vieles, was den Literarhistorikern