{"title":"Drei Momente in der Formation der Humanities: Vico, Dilthey, Foucault/Kittler","authors":"Rüdiger Campe","doi":"10.5771/9783956505102-25","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Wer von den zwei Kulturen im westlichen Denken spricht, sieht in den Geistesoder Kulturwissenschaften – den Sciences de l’Homme oder Humanities1 – oftmals die ältere Form des Wissens über Mensch und Welt. ‚Älter‘ oder ‚traditionell‘ ist dann im Vergleich mit den Naturwissenschaften gemeint, wie wir sie seit Renaissance und früher Neuzeit kennen. Diesem Verständnis zufolge bilden die Humanities eine Art Reservat. Je nach Einstellung erscheinen sie als unzeitgemäß oder als Speicher unvordenklicher Erfahrung. Dieses Verständnis ist aber – das ist hier die These – unzutreffend: Die Humanities sind historisch gesehen jünger als die moderne Naturforschung. Der Sache nach reagieren sie auf die Sciences oder wie Husserl sagte: die Technisierung des Wissens;2 und sie tun das in immer wieder neuer Weise. Für die Humanities kann es darum heute weder um Abwehr gehen, noch um das Pochen auf Unverzichtbarkeit nach Art der Marquardt’schen Kompensationslehre.3 Es geht darum, den Befund zu berichtigen, auf Grund dessen man von einem Angriff der neuen Sciences auf die angeblich traditionellen Humanities überhaupt ausgegangen ist. Im richtigen Verständnis des Projekts, das die Humanities gewesen sind, liegen die Richtlinien für die Aufgabe, die es heute auszuführen gilt. Die Diagnose von der Modernität der Humanities hat zwei Seiten. Erstens besagt sie, dass die Humanities sich in wesentlicher Weise erst als Antwort auf den neuzeitlichen Verbund aus Mathematik, Experimentalwissenschaft und Technik formuliert haben. Die Humanities bilden in ihrer Entgegensetzung zu den Sciences zweitens eine ganz andere Architektur des Wissens, als es die Artes und Scientiae im alten Europa getan hatten. Die antike Unterscheidung zwischen Artes und Scientiae folgte der gründenden Teilung des Wissens, wie man sie bei Platon","PeriodicalId":207545,"journal":{"name":"Rückkehr des Erlebnisses in die Geisteswissenschaften?","volume":"27 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0000,"publicationDate":"2019-04-09","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Rückkehr des Erlebnisses in die Geisteswissenschaften?","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.5771/9783956505102-25","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"","JCRName":"","Score":null,"Total":0}
引用次数: 0
Abstract
Wer von den zwei Kulturen im westlichen Denken spricht, sieht in den Geistesoder Kulturwissenschaften – den Sciences de l’Homme oder Humanities1 – oftmals die ältere Form des Wissens über Mensch und Welt. ‚Älter‘ oder ‚traditionell‘ ist dann im Vergleich mit den Naturwissenschaften gemeint, wie wir sie seit Renaissance und früher Neuzeit kennen. Diesem Verständnis zufolge bilden die Humanities eine Art Reservat. Je nach Einstellung erscheinen sie als unzeitgemäß oder als Speicher unvordenklicher Erfahrung. Dieses Verständnis ist aber – das ist hier die These – unzutreffend: Die Humanities sind historisch gesehen jünger als die moderne Naturforschung. Der Sache nach reagieren sie auf die Sciences oder wie Husserl sagte: die Technisierung des Wissens;2 und sie tun das in immer wieder neuer Weise. Für die Humanities kann es darum heute weder um Abwehr gehen, noch um das Pochen auf Unverzichtbarkeit nach Art der Marquardt’schen Kompensationslehre.3 Es geht darum, den Befund zu berichtigen, auf Grund dessen man von einem Angriff der neuen Sciences auf die angeblich traditionellen Humanities überhaupt ausgegangen ist. Im richtigen Verständnis des Projekts, das die Humanities gewesen sind, liegen die Richtlinien für die Aufgabe, die es heute auszuführen gilt. Die Diagnose von der Modernität der Humanities hat zwei Seiten. Erstens besagt sie, dass die Humanities sich in wesentlicher Weise erst als Antwort auf den neuzeitlichen Verbund aus Mathematik, Experimentalwissenschaft und Technik formuliert haben. Die Humanities bilden in ihrer Entgegensetzung zu den Sciences zweitens eine ganz andere Architektur des Wissens, als es die Artes und Scientiae im alten Europa getan hatten. Die antike Unterscheidung zwischen Artes und Scientiae folgte der gründenden Teilung des Wissens, wie man sie bei Platon