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Abstract
Schuberts Einschätzung als Komponist mit weiblichen Zügen wurde schon früh durch den konstruierten Gegensatz zum „heroisch-männlichen“ Beethoven vorgeprägt. Schumanns Diktum vom kindlichen „Mädchencharakter“ steht am Beginn einer Reihe von femininen Charakterisierungen, die einerseits seine körperliche Erscheinungsform (rundlich, klein, lockig), andererseits aber auch seine musikalische Sprache in ihrer Weitschweifigkeit und scheinbar gedankenverlorenen Ziellosigkeit ins Treffen führen. Zudem galt die Gattung Lied zu Beginn des 19. Jahrhunderts als weibliche Gattung, die im Häuslichen gepflegt wurde und keine große Öffentlichkeit vertrug. Auch frühe Berichte von Schuberts Besuch bei Beethoven, in denen er gegenüber dem großen Meister als scheu und linkisch dargestellt wird und schließlich sogar errötet sein soll, förderten das Bild einer weichen und schwachen Persönlichkeit, das den Geschlechterklischees der Zeit zufolge dem einer Frau entsprach. Das Verhältnis Schuberts zum eigenen und zum anderen Geschlecht ist auf Basis der problematischen Quellenlage schwierig auszuloten. Gesichert ist, dass – im Gegensatz zu Beethoven, der weitgehend isoliert von der Gesellschaft sein einsames Künstlertum lebte – Schubert zeitlebens in ein enges Netzwerk von Männerfreundschaften integriert war, dem er sich emotional stark verbunden fühlte. Wie weit diese Nähe sexuelle Kontakte miteinschloss, muss offen bleiben. Ebenso sind seine emotionalen Beziehungen zu Frauen schwer zu fassen. Auch wenn die Freunde viele Jahre nach seinem Tod von heimlichen Liebesgeschichten berichten, dürfte der Kontakt zu seiner Jugendfreundin Therese Grob rein freundschaftlich gewesen sein. Und auch sein Verhältnis zu Caroline Esterházy stand vermutlich nur im Zeichen einer allgemeinen Verehrung oder bestenfalls Schwärmerei. Die enttäuschte Liebe zu einer der Fröhlich-Schwestern, wie sie in der Operette und der Verfilmung vom „Dreimäderlhaus“ dargestellt wird, ist reine Erfindung.