{"title":"Bilder/Schrift. Zeichnen und Schreiben bei Franz Kafka","authors":"A. Kilcher","doi":"10.1515/yejls-2020-0006","DOIUrl":"https://doi.org/10.1515/yejls-2020-0006","url":null,"abstract":"Die Vorstellung des jüdischen Schriftstellers als eines exklusiven Erzählers, als eines Schriftstellers mithin, der sein Erzählen absolut stellt und dabei gewissermaßen seiner jüdischen Natur nach das Bild zurückweisen muss, wurde auch im Fall von Franz Kafka aufgestellt. Das tat unter anderem einer der verbreitetsten, nichtsdestoweniger aber zweifelhaftesten biographischen Quellen zu Kafka mit großem Geschick, indem diese Vorstellung vom jüdischen Erzählen Kafka selbst in den Mund gelegt wird. Die Rede ist von den Gesprächen mit Kafka (1951), die der junge nichtjüdische Gymnasiast Gustav Janouch (1903–1968), der Sohn eines Arbeitskollegen Kafkas, als Siebzehnjähriger um 1920 mit dem von ihm über alles bewunderten Prager jüdischen Schriftsteller geführt hatte. Seinen Angaben nach hatte Janouch diese Gespräche in einem „Gedankenlager“ genannten Notizbuch aufgezeichnet und Jahrzehnte später, 1947, in tschechischer Sprache unter dem Titel Franz Kafka řekl... („Franz Kafka sagte...“) ‚rekonstruiert‘. Die besondere Karriere dieser von Max Brod für die deutsche Erstedition von 1951 redigierten Gespräche liegt auch darin, dass sie von Kafkas Weggefährten wie Brod für authentisch erklärt und auch deshalb in der Kafka-Forschung lange Zeit als Quelle angesehen wurden. Das gilt auch und gerade für Kafkas ansonsten sehr raren Äußerungen zu seinen Zeichnungen. So beruft sich etwa der Beitrag zu Kafkas Zeichnungen in Hartmut Binders Kafka-Handbuch (1979) ausgiebig auf Janouchs Gespräche. Aber auch in jüngeren Arbeiten zu Kafkas Zeichnungen wird Janouch – teils uneingeschränkt affirmativ, teils mit gewisser Vorsicht – nach wie vor als Quelle für Kafkas Selbsteinschätzung seiner Zeichnungen zitiert. Dazu gehört u. a. folgende Äußerung von Gustav Janouchs „Doktor Franz Kafka“,","PeriodicalId":265278,"journal":{"name":"Yearbook for European Jewish Literature Studies","volume":"87 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0,"publicationDate":"2020-11-18","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"121499947","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":0,"RegionCategory":"","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
{"title":"Jüdische Buchgestalter der russischen Avantgarde","authors":"Anne Hultsch","doi":"10.1515/yejls-2020-0005","DOIUrl":"https://doi.org/10.1515/yejls-2020-0005","url":null,"abstract":"Den Ausgangspunkt für vorliegenden Beitrag bildet die Beschäftigung mit avantgardistischer Buchgestaltung, vor allem in der Tschechoslowakei, der in diesem Kontext eine als paradigmatisch anzusehende und ihrer Zeit europaweit anerkannte Vorreiterrolle zukommt, aber auch in Polen und Russland. Gerade im Hinblick auf russische avantgardistisch gestaltete Bücher fallen im Unterschied zu den tschechischen Büchern einige Besonderheiten auf (vgl. Hultsch 2019), die sich meiner Meinung nach nicht oder nicht nur darauf zurückführen lassen können, dass die historischen und kulturellen Ausgangsbedingungen für die jeweilige Avantgarde unterschiedlich waren und auf unterschiedliche nationale Traditionen zurückgegriffen werden konnte bzw. wurde. Was die russische Avantgarde im Gegensatz zu der tschechischen aufweist, sind a) eine neoprimitivistische Tendenz in ihrer Anfangsphase, also im frühen Futurismus; b) allgemein eine verstärkte Hinwendung von einer stark auf das Wort konzentrierten (exklusiven Hoch-)Kultur zur Bildkultur und c) eine Umschlaggestaltung, die eine nicht zu übersehende Tendenz aufweist, die Fläche des Umschlags und zum Teil auch der Seiten in mehrere Segmente zu gliedern und diese teilweise zu rahmen.","PeriodicalId":265278,"journal":{"name":"Yearbook for European Jewish Literature Studies","volume":"1247 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0,"publicationDate":"2020-11-18","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"132919768","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":0,"RegionCategory":"","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
{"title":"Walter Benjamins Denken des xieyi, und das Schrift-Bild Else Lasker-Schülers am Beispiel ihrer Postkarte an Karl Kraus","authors":"Monika Leipelt-Tsai","doi":"10.1515/yejls-2020-0007","DOIUrl":"https://doi.org/10.1515/yejls-2020-0007","url":null,"abstract":"Wenige Künstler haben um die Jahrhundertwende die Postkarte als Medium ihrer Kunst genutzt. Das Kleinformat der Postkarte scheint jedoch den Gehalt des Mediums Bild wie des Mediums Schrift zu konzentrieren und zu komprimieren. Die damalige Unkonventionalität des neuartigen Mediums ‚Postkarte‘ sprach auch die spätere Kleist-Preis-Trägerin Else Lasker-Schüler an. Sie war nicht nur Dichterin, sie war zugleich auch Malerin. Die von ihr selbst verfertigten Postkarten können als hervorragendes Beispiel der kleinen Form betrachtet werden. Sie zeichnen sich oft durch eine Intermedialität aus und werfen ein neues Licht auf die Frage der Konkurrenz von Schrift und Bild in der deutsch-jüdischen Kultur. Die beiden Medien sind in Lasker-Schülers Kunst vielmehr eng aufeinander bezogen und miteinander verwoben. Im Folgenden soll eine ihrer Postkarten an Karl Kraus mit Walter Benjamins Essay „Chinese Paintings at the Bibliothèque Nationale“ und ausgewählten Passagen ihrer Texte konstelliert werden, um auf die Problematik des Schrift-Bilds bei Else Lasker-Schüler einzugehen. Zugleich soll sich ihren Strategien der Visualisierung und Kontextualisierung exemplarisch durch die Korrespondenzen zwischen Gezeichnetem und Literarischem in ihren künstlerischen Formen des Kleinen angenähert und das Allegorische darin aufgespürt werden. Eine ihrer mikrologischen Zeichnungen wird dabei im Hinblick auf eine wichtige poetologische Praxis von Lasker-Schüler analysiert, die auf die Frage der Ethnizität verweist.","PeriodicalId":265278,"journal":{"name":"Yearbook for European Jewish Literature Studies","volume":"1 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0,"publicationDate":"2020-11-18","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"128400229","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":0,"RegionCategory":"","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
{"title":"Welcome Words","authors":"V. Liska","doi":"10.1515/yejls-2020-0011","DOIUrl":"https://doi.org/10.1515/yejls-2020-0011","url":null,"abstract":"","PeriodicalId":265278,"journal":{"name":"Yearbook for European Jewish Literature Studies","volume":"133 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0,"publicationDate":"2020-11-18","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"121544451","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":0,"RegionCategory":"","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
{"title":"Aufräumen. The Writer and/on Revolution","authors":"C. Caradonna","doi":"10.1515/yejls-2020-0013","DOIUrl":"https://doi.org/10.1515/yejls-2020-0013","url":null,"abstract":"Discovering new, exciting texts that have been buried in the hidden drawers of literary history always provides a special, acute kind of pleasure, as if the excitement of the text itself – and Lasker-Schüler’s pamphlet Ich räume auf! is most definitely filled with this excitement – would swap over to the reader. We have Andrea Krauss to thank for cleaning up the closet, freeing this surprising, subversive text from its dust and providing us with the pleasure of this unique discovery. In her pamphlet, Lasker-Schüler repeatedly underlines – picking up an ancient literary topos – that the characteristic of works of art is eternity. Yet – she pragmatically adds –, in order for them to resurrect from their sleep they, too, need help: of keen, understanding publishers and literary critics alike. At the very end of her text she explains that the three words “Ich räume auf!” [I am cleaning up] will become the first words of a new Marseillaise, the revolutionary protest song sung by authors whose rights to their intellectual property have been abused (Lasker-Schüler 1996 [1925], 556). It should become the song of literary scholars as well. By choosing to present this inflammatory pamphlet to us, Andrea Krauss herself is singing it along, urging us to sing with her, to step onto the literary battlefield and call texts back to life that have been unjustly forgotten. Is this act already political in nature? In a mixture of pleasure and surprise we discover a text that is hybrid and disturbingly fitting to our times still; a text that oscillates between the poetical and the political, discusses the poet’s ambivalent stance in the political sphere and through its very texture of “discursive variety” opens up, as Krauss convincingly argues, to a “discursive culture and conflict” as well as to the “inconcludability of communication”. However, I would like to briefly point to the darker, more violent, radical and thus possibly more disturbing side of Lasker-Schüler’s text. Its bearer is the multiple meaning of the verb “aufräumen”, of which Krauss has shown the prominence in Lasker-Schüler’s pamphlet. “Aufräumen” does not only mean “to clean up, to tidy up, to make room for”. In a wider, metaphorical sense it also means “to rage” (as when an illness, a plague is raging, demanding many victims), and even “to cancel, eradicate, annihilate”. Especially with the preposition “mit” [with] it means as much as “to bring to an end, to make disappear”. The idea of a tabula rasa is engrained in the most radical consequences of tidying up, when the object of this action is not things anymore, but human beings. The verb’s uncanny ambiguity reminds us that order and cleanliness come at a price, namely of doing away with what is assumed to be old, consumed, superfluous, redundant, unnecessary and so forth. The surprise of discovery and the inclination towards","PeriodicalId":265278,"journal":{"name":"Yearbook for European Jewish Literature Studies","volume":"18 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0,"publicationDate":"2020-11-18","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"115054708","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":0,"RegionCategory":"","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
{"title":"Intentionally left blank – Raum für Notizen","authors":"B. Erdle, Annegret Pelz","doi":"10.1515/yejls-2019-0001","DOIUrl":"https://doi.org/10.1515/yejls-2019-0001","url":null,"abstract":"Als Walter Benjamin 1931 in Berlin seine Bibliothek „nach zweijähriger [Bücherkisten-]Dunkelheit“ (Benjamin 1972, 388) auspackt, kommt er über den Sammler und dessen besonderes Verhältnis zu seinen Buchobjekten ins Grübeln: Der Büchersammler, heißt es in dem Denkbild Ich packe meine Bibliothek aus (1931), studiert nicht den Funktionswert und den Nutzen der Dinge, vielmehr liebt er deren historisches Schicksal. DasHabent sua fata libelli des antiken Grammatikers Terentianus Maurus legt der Sammler für sich so aus, dass nicht die Bücher generell, sondern das Schicksal des einzelnen Exemplars gemeint ist, das sich durch den Zusammenstoß mit ihm im Akt des Erwerbs erneuert. Wie ein solch haptisch-erinnernder Umgang mit den Materialien ein revolutionierendes (vgl. Schiavoni 2011, 375) und zugleich lokalisierendes Verfahren der Erneuerung (Benjamin 1972, 390) in Gang setzt, wird deutlich, als dem Büchersammler am Ende des Auspackens „zwei verschossene Pappbände [mit Flugblättern, Alben, Handschriften, Schreibmaschinenabschriften] in die Hand [fallen], die streng genommen gar nicht in eine Bücherkiste gehören“ (1972, 395). Diese „Buchgeschöpfe aus Grenzgebieten“ sind die Garanten einer lebendigen Bibliothek:","PeriodicalId":265278,"journal":{"name":"Yearbook for European Jewish Literature Studies","volume":"17 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0,"publicationDate":"2019-11-18","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"129391100","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":0,"RegionCategory":"","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
{"title":"From “Public Space” to “Space of Writing”: Jewish Diarists in Nazi Germany","authors":"G. Miron","doi":"10.1515/yejls-2019-0005","DOIUrl":"https://doi.org/10.1515/yejls-2019-0005","url":null,"abstract":"In recent years personal diaries have become a major source for studying the history of the third Reich. Historian Peter Fritzsche has asserted that life under the Third Reich stirred tendencies of “intensified self-scrutiny” and encouraged some to express their inner life more explicitly in writing. “Letters and diaries”, he added, “provide valuable insights into the effort Germans made to come to terms with National Socialism” (Fritzsche 2008, 9; Steuwer 2017). Diary writing was a very common phenomenon among Jews under the Nazi regime, both in Germany as well in the occupied territories. Scholars are turning to close reading of diaries as a major source for social and cultural history of the Holocaust (Garbarini 2006; Goldberg 2017). Following the impact of the “spatial turn”, space is becoming more and more prominent in the field of Jewish Studies. Historians as well as scholars from other disciplines have recently reexamined a variety of phenomena in European and German Jewish history and suggested new interpretations using the concept of space (Gromova, Heinert and Voigt 2015; Lässig and Rürup 2017). In addition to dealing with changing Jewish attitudes to public, private, sacred spaces and other kinds of physical space, scholars use spatial metaphors to analyze cultural phenomena such as Jewish culture of memory (Roemer 2017), Jewish press (von der Krone 2017) and so on. This article examines the link between the physical spatial experiences of German Jews in Nazi Germany – predominantly their exclusion from different kinds of public spaces and their withdrawal into private spaces – and their growing tendency to express and recreate their selves by writing diaries and sometime also memoirs which is presented here as an inner metaphorical space. Following Moritz Foellmer’s discussion of the attempts of Berlin Jews to preserve and redefine their sense of individuality vis-à-vis their ever-growing exclusion under the Nazi regime (Foellmer 2013, 132–155), I will try to present how the ever growing experience of shrinking space – first in public and then also in private life –motivated German Jews to turn to the “space of writing”.","PeriodicalId":265278,"journal":{"name":"Yearbook for European Jewish Literature Studies","volume":"97 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0,"publicationDate":"2019-11-18","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"117317166","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":0,"RegionCategory":"","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
{"title":"Jasmin Sohnemann: Arnold Zweig und Stefan Zweig in der Zwischenkriegszeit","authors":"J. Glunk","doi":"10.1515/yejls-2019-0017","DOIUrl":"https://doi.org/10.1515/yejls-2019-0017","url":null,"abstract":"Es ist ein Brief von Exil zu Exil, den Stefan Zweig (1881–1941) am Ende des Jahres 1937 aus London an den bereits vier Jahre zuvor nach Palästina emigrierten Arnold Zweig (1887–1968) richtet. Beide jüdischen Schriftsteller haben den natürlichen Raum ihres Wirkens, den deutschsprachigen, nach der nationalsozialistischen Machtergreifung verlassen. Und für beide, die ihr literarisches Wirken in den umbruchsreichen 1920er Jahren einer „moralisch-sittliche[n] Erziehung der Gesellschaft“ (17) verschrieben haben, bedeutet dieses Exil auch einen neuen Verortungszwang, eine mitunter schwerfällige Suche nach möglichen, notwendigen, adäquaten Formen einer literarisch-zeitkritischen Äußerung. Zweigs obige Zeilen klingen kämpferisch – appellierend im Anspruch einer „anständigen“, d. h. engagiert bezugnehmenden Literatur, der sie eint –, und anerkennend im Wissen um das, was sie, in Wesen undWerk, trennt. So lautet das Eingangszitat einer aufregenden und perspektivenreichen Studie, die Jasmin Sohnemann im Jahr 2017 als Beitrag zu einer aktualisierten Diskussion nicht nur der Beziehungsgeschichte der beiden Autoren gleichen Nachnamens sowie ihrer bisherigen literaturgeschichtlichen Rezeption, sondern auch ihrer Publizistik in den Jahren zwischen zwei Weltkriegen vorgelegt hat. Sie schließt mit dieser Monographie nicht nur eine wichtige Forschungslücke, indem sie die von der Forschung bislang unbeachtete persönliche Beziehung der beiden Zweigs anhand bis dato unbekannter Briefzeugnisse eingehend analysiert; sie rückt auch, mit der Behandlung des publizistischen Werks, ein ganzes Korpus neuen Materials ins Licht, das das Potenzial hat, das bisherige Bild eines unpolitischen Stefan Zweig und eines umso politischeren Arnold Zweig grundlegend umzuwerten. Und eine solche Umund Neubewertung bisheriger Auffassungen, so die Eingangsdiagnose Sohnemanns, ist durchaus vonnöten. Aus diesem Befund ergibt sich der anspruchsvolle theoretische Aufbau der Arbeit, die sich im","PeriodicalId":265278,"journal":{"name":"Yearbook for European Jewish Literature Studies","volume":"47 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0,"publicationDate":"2019-11-18","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"127079098","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":0,"RegionCategory":"","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
{"title":"Schreiben über Exil und Shoah","authors":"Stephanie Marx","doi":"10.1515/yejls-2019-0013","DOIUrl":"https://doi.org/10.1515/yejls-2019-0013","url":null,"abstract":"Die SERO, die Sekundär-Rohstofferfassung, der in der DDR die Annahme und Weiterverteilung von Altstoffen oblag, zahlte für ein Kilo unsortierter Papierund Pappenabfälle 20 Pfennig (SERO o.J.). Für Kinder ein nicht unerheblicher Betrag: 20 Pfennig waren immerhin in etwa so viel, wie eine Kugel Eis in der DDR kostete. Wer Kindern also einen Gefallen tun wollte, gab ihnen alte Flaschen, Dosen, aber auch Zeitungen und Altpapier aus den Haushalten, damit sie sich ihr Taschengeld aufbessern konnten. Dies tat auch der österreichische Schriftsteller Fred Wander (1917–2006), der zwischen 1955 und 1984 in der DDR lebte. Seine Freigiebigkeit erklärt, dass sich zu seinen Werken kaum Notizen finden lassen; diese überließ er den Kindern der Nachbarschaft. Gleichzeitig lässt sich daran das Selbstverständnis eines Autors ablesen, der nicht davon ausging, dass die Skizzen zu seinen literarischen Arbeiten überhaupt für irgendwen von Interesse sein könnten. Dementsprechend wurden Wanders Typoskripte und konzeptuellen Überlegungen erst in dem Moment kostbar, als sie, auf ihre Materialität reduziert, keinen Zweck mehr als Notizen erfüllten; als sie zu Altpapier wurden und sich so in Eise umrechnen ließen. Ab den 1980er Jahren begann Susanne Wander die Vorarbeiten zu den literarischen Werken ihres Mannes zu sammeln und zu archivieren; konsequent setzte sie dies spätestens seit den 1990ern um. Ihr ist es zu verdanken, dass überhaupt Unterlagen erhalten sind, anhand derer die Entstehung von Wanders Publikationen nachvollzogen werden kann. Für das in diesem Beitrag besprochene Werk, Wanders Roman Hôtel Baalbek (1991), ist dies seine Korrespondenz mit dem Aufbau Verlag. Sie ist Teil von Wanders Nachlass, der seit 2015 im Literatur-","PeriodicalId":265278,"journal":{"name":"Yearbook for European Jewish Literature Studies","volume":"41 3 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0,"publicationDate":"2019-11-18","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"116223099","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":0,"RegionCategory":"","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
{"title":"Notizen als Tatort","authors":"V. Liska","doi":"10.1515/yejls-2019-0006","DOIUrl":"https://doi.org/10.1515/yejls-2019-0006","url":null,"abstract":"In Logiques du brouillon beschreibt Daniel Ferrer avant-textes, Aufzeichnungen, Skizzen und Notizen, die Autoren sich im Vorfeld ihres Schreibens machen und dann auf vielfältige Weise in ihr Werk einfließen lassen. Ferrer interessiert sich für diese Notate vor allem in Hinblick auf eine Analyse der Textgenese literarischer Werke. Im Kapitel Une économie marginaliste de l’écriture [Eine randständige Ökonomie des Schreibens] 2011, 119–121) behandelt Ferrer eine besondere Form dieser „Vor-Texte“. Es handelt sich um Notizen, die ein Autor sich bei der Lektüre der Texte eines anderen macht und daraufhin in dieser oder jener Form in seinem eigenenWerk verwertet. Ferrer unterscheidet dabei zwischen Autoren, die ihre Notizen während ihrer Lektüren in die Bücher selbst, also zwischen die Zeilen oder in die weißen Ränder der Blattseiten einfügen, und solchen, die eigene Notizbücher (carnets de lecture) anlegen, in denen sie Auszüge der Texte anderer kopieren und kommentieren. Ferrer beschreibt die Tätigkeit des letzteren Typus in überraschend radikalen Worten: Diese Autoren, so Ferrer, „zerstückeln den Text des anderen um ihn in konzentrierter und wesentlicher Form an einem Übergangsort, einem Raum der Desinfektion oder der Verdauung, zu lagern bevor sie ihn schließlich, an ihr eigenes Werk angepasst, in dieses einfügen.“ Ferrers vehemente Beschreibung – vor allem Worte wie „zerstückeln“ und „desinfizieren“ – weist auf die inhärente Gewaltsamkeit, die er in diesem Vorgehen sieht. Ferrer spricht explizit von einer „Gewalt der Entnahme“ [„violence du prélèvement“] (2011, 120), die in beiden Formen des Annotierens – jener der direkten zwischen den Zeilen oder am Blattrand und jener in eigenen Notizbüchern – angelegt ist und bemerkt, dass die erstere, die den Text eines anderen Autors buchstäblich und physisch infiltriert, lediglich sichtbarer und offensichtlicher ist. Wo der Prozess der Anverwandlung über das Medium eines gesonderten Notizbuchs erfolgt, ereignet sich Ferrer zufolge eine verstecktere, aber darum nicht weniger gewaltsame Annektierung des Werks des anderen. Ferrer betont, dass diese aus fremden Werken exzerpierten Notizen nicht nur Erscheinungs-","PeriodicalId":265278,"journal":{"name":"Yearbook for European Jewish Literature Studies","volume":"2016 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0,"publicationDate":"2019-11-18","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"127400061","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":0,"RegionCategory":"","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}